222 DOCUMENT 51 AUGUST 1899 Mann, finden zu können?[3] O, ich kenne diese Tierchen persönlich aus eigner Anschauung, da ich doch selbst eins bin. Von denen ist nicht so sehr viel zu hoffen, das weiß ich ganz genau. Wir sind heut mürrisch, morgen über- mütig, übermorgen kalt, dann wieder gereizt & halb lebensüberdrüssig .... so gehts weiter, doch hätt ich fast noch die Untreue & Undankbarkeit & Selbstsucht vergessen, in welchen Dingen wirs auch fast alle bedeutend weiter bringen als die guten Mädchen ..... Ich sollt eigentlich nur im eigenen Namen davon sprechen, wenn ich nicht den traurigen Trost hätte, daß die meisten andern im Grunde auch nicht anders sind. Ich danke Ihnen, daß Sie sich so freundich nach meiner Hand erkundigen, die wieder ganz geheilt ist.[4] Ich wollte nur, daß Sie davon Wintelers nichts sagten, damit sie sich nicht etwa eine Sorge um mich machen sollten, sonst will ich kein Geheimnis vor ihnen haben. Sie können ihnen nachträglich alles sagen & noch dazu herzliche Grüße von mir. Auf dem Säntis wars ganz wunderbar.[5] Ich war in 4 Tagen zweimal droben. Die Tour ist äußerst lohnend & nichts weniger als beschwerlich. Es gibt für so einen Stubenhocker nichts schöneres als einmal in der Natur herumzuschweifen & so alles auf sich wirken zu lassen, was sich grade dem Auge bietet, statt selbst immer über das zu gebieten, was den Geist beschäftigen muß. Es geht mir halt dabei wie einer geplagten Hausfrau in Ferien, die sich sonst immer den Speisezettel des Tages zurechtmachen muß, jetzt aber gar lieblich in einem Hotel ins Blaue hinein gefüttert wird. Es schmerzt mich mit Ihnen, daß Sie nach den schönen Ferientagen das Leben zuhause mit seiner Prosa noch bitterer empfinden müssen. Ich gratuliere Ihnen aber jedenfalls zu dem Entschluß, in die Fremde zu gehen. Das sollte jedes Mädchen thun, das die Kraft dazu hat. Eine Stelle wüßte ich Ihnen jetzt schon nach Italien, die manches für sich hätte für Sie, natürlich auch manches gegen sich, wie alles in der Welt. Also los damit ich werd Ihnen alles darstellen, so objektiv ich kann. Sie kennen ja meinen Vetter Robert Koch.[6] Seine Mutter braucht eine Gouvernante für ihr einziges Töchterchen (7 Jahre).[7] Meine Tante ist eine Frau von natürlichem Verstand, wahr- heitsliebend, oberflächlich gebildet, gerecht, eitel, herrschsüchtig, aber leiden- schaftslos & mitteilsam dabei. Sie will, daß man artig ist mit ihr, ist aber [3] Niggli had confided to Einstein that she was disturbed over her relationship with a much older man who did not intend to marry her (see Niggli 1952, p. [3]). [4] See Doc. 48. [5] See Doc. 48. [6] Niggli presumably met Koch while he was a pupil at the Aargau Kantonsschule from 1895 until 1898. [7] Julie Koch (1857-?) was the mother of Robert and Alice (1891-1953).
Previous Page Next Page