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Vol. 8, 297a. To Heinrich Zangger
[Berlin,] 13. II. 17.
Lieber Freund Zangger!
Eine saubere Familie! Die Frau ist krank, ein Kind kränkelt, der Mann ist krank.
Es ist rührend, wie Sie sich der jämmerlichen Gesellschaft annehmen. Ich habe
heute Ihre Anfrage Prof. Boas
gebracht,[1]
der auch versprach, Ihnen Nachricht zu
geben. Dass die Leber krank ist, ist sicher, er hat es heute wieder konstatiert durch
Tasten vorne unter dem unteren Rand des Brustkorbes und am Rücken an einer ge-
wissen Stelle rechts, wo eine charakteristische Über-Sensibilität konstatiert wurde.
Die Verpflegung ist ausgezeichnet; meine Cousine kocht alles genau nach der ärzt-
lichen
Vorschrift.[2]
Ohne Ihre Pakethilfe würde allerdings der Vorrat an geeigne-
tem Hühnerfutter bald erschöpft
sein.[3]
Ich bekomme ausserdem Mergentheimer
Mineralwasser zweimal des Tages. Die Nachmittage bringe ich im Hause meiner
Verwandten zu, weil ich mir nicht selbst das richtige Abendessen bereiten
kann.[4]
Mit der Tarasper Kur ist er auch sehr einverstanden; aber wer weiss, was bis dorthin
sein
kann.[5]
So lange im Voraus wollen wir keine Pläne machen. Nur insofern soll-
te ich mich entschliessen, dass ich die Zeit meiner Reise in die Schweiz festsetzte.
Wann denken Sie, dass ich kommen soll? Ich frug auch meinen Albert, habe aber
noch keine Antwort. Jedenfalls sind die Frühjahrsferien eine ungünstige Zeit, weil
ich da mit dem Jungen gar nichts unternehmen kann. Wie steht es mit Ihrer Ge-
sundheit; müssen Sie wirklich auch geflickt
werden?[6]
Hoffentlich nicht. Sie ha-
ben auch weniger Zeit als ich. Die Untersuchung über das kosmische Gravitations-
feld ist sehr interessant geworden. Wenn die Materie überall so dicht ist, wie in den
unserem Blick zugänglichen Sternräumen, dann soll die Welt (endlich sein und) ei-
nen Radius von ungefähr 10 Millionen Lichtjahren haben. Leider wird ein direkter
Nachweis wohl nie möglich sein, da wir nur einige tausend Lichtjahre weit sehen.
Es ist für das anschauliche Denken schwierig, sich die Welt unbegrenzt und doch
endlich zu denken, nach Art der Oberfläche einer Kugel, aber
dreidimensional.[7]
Der Gegenstand erinnert mich an das Luftschloss von Freund Besso, das Sie mir
vorenthalten haben, ohne Rücksicht auf meine nicht geringe
Neugierde.[8]
Der
Krieg scheint gar nicht mehr aufhören zu wollen, ehe ganz Europa verelendet
ist.[9]
Aber die Menschen verdienen es nicht anders. Oder soll man alles durch Suggesti-
bilität und unglückliche Umstände entschuldigen? Das Schicksal fragt nicht nach
Schuld sondern läuft naturgesetzlich ab. Eines aber schwebt mir immer vor. Warum
haben wir nicht ein Analogon der mittelalterlichen Klöster, einen Zufluchtsort für
Menschen, die sich von allen weltlichen Händeln zurückziehen wollen unter Ver-
zicht auf gewisse gemeinhin für erstrebenswert gehaltene Dinge? Könnte denn so
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