3 4 6 D O C U M E N T 8 5 J U L Y 1 9 2 0
85. To Michele Besso
[Berlin, before 26 July
1920][1]
Lieber Michele!
Der Guillaume
[2]
schreibt beharrlich immer wieder den gleichen Mist gemäss
Napoleons Devise, dass Wiederholung das wirksamste Argument sei. Ich finde
trotz aller Mühe, die ich mir gebe, keinerlei Sinn hinter seinen Worten und bin (für
mich) sicher, dass auch keiner dahinter
steckt.[3]
Er scheint zwischen Dingen und
Zahlen in seinen Überlegungen nicht zu unterscheiden. Julius’ Untersuchungen
sind sicher interessand und sprechen gegen die Existenz der Rotverschiebung; aber
sie beweisen gar
nichts.[4]
Bevor nicht die irdischen Lichtquellen ordentlich unter-
sucht und beide Spektren mit dem Spektrophotometer analysiert sind nützt die
Häufung des Materials nichts. Man macht die Vergleichung der irdischen Linien
mit denen des Sonnenspektrums unter der Annahme, dass diejenigen Linien einan-
der entsprechen, welche möglichst wenig gegen einander verschoben sind, d. h. un-
ter der Voraussetzung, dass kein Gravitationseffekt existiere. Dies kann bei dem
ungeheuer linienreichen Sonnenspektrum dazu führen, dass nicht entsprechende
Linien identifiziert werden, wie Grebe und Bachem jüngst gezeigt
haben.[5]
Auch
ist es wichtig, Linien zu bevorzugen, die den Effekt Sonnenmitte–Sonnenrand
nicht zeigen. Grebe finden den Effekt gut bestätigt bei der Cyanbande, wenn sie un-
symmetrische bezw. gestörte Linien (photogrammetrisch konstatiert) ausschlies-
sen.
[6]
Du wirst sehen, dass am Ende eine glänzende Bestätigung der Theorie her-
auskommt; ich habe noch keine Sekunde daran gezweifelt. Die Weylsche Theorie
kann hier nichts
helfen:[7]
entweder sie liefert die Unabhängigkeit der Massstäbe
und Uhren von der Vorgeschichte, dann nützt sie nichts; oder sie liefert jene Unab-
hängigkeit nichts, dann ist sie sicher falsch wegen der Bestimmtheit der Atomradi-
en und -frequenzen. Ich bin ja überhaupt von Anfang an überzeugt von der Unrich-
tigkeit (d. h. vom Nicht-Zutreffen) der Weylschen Theorie. Es gibt eigentlich fast
nur Thatsachengründe dagegen, aber nicht
dafür.[8]
Aber solange Du an
Guillaume
[2]
glaubst, wäre es unrecht, über Weyl zu schimpfen, weil das so ganz
verschiedene Grössenordnungen von Sünden sind, Weyl ist stets ein tiefer, klarer
Geist, eine wahre Wonne zum Lesen, der andere aber unsauber.—
Dass Du an Albert so viel Freude hattest, thut meinem Vaterherzen sehr wohl.
Ich werde ihn und Tete im Oktober in den Herbstferien sehen. Ich lasse sie ins
Schwabenländchen kommen nach Benzingen bei
Sigmaringen.[9]
Ein gemeinsa-
mer Aufenthalt in der Schweiz wäre zu teuer. Du hast wirklich recht mit Deiner Be-
merkung über die Lenksamkeit der Menschen, nur ist eigentlich keine überlegene
Führung da. Alle sind die Gelenkten, gelenkt von weiss Gott was, aber nicht von
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