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Vol. 5, 202b. To Vladimir Varic;ak
Zürich, 11.IV.10
Hoch geehrter Herr Kollege!
Ihre beiden Briefe haben mich sehr gefreut, ebenso Ihre interessante Abhand-
lung über die
Transformation.[1]
Was den starren rotierenden Körper anlangt, sehe
ich die Sache etwa folgendermassen.
Zunächst ist es nicht aus-
geschlossen, dass die Ab-
straktion des starren Körpers,
der beliebig bewegt ist, über-
haupt nicht in die Relativitätstheorie
passt.[2]
Nehmen Sie z. B. den Fall, dass ein
starrer Stab, der zunächst ruhend frei im Raum schwebe in A plötzlich einen Impuls
erhalte, der unendlich kurze Zeit dauert. Das Ende B kann infolge dieses Impulses
frühestens nach der Zeit irgend eine Lagenänderung erfahren, oder Geschwin-
digkeit erlangen, weil sonst „Überlichtsignale“ existierten, was zu schweren Ab-
surditäten führt. Also wird der Stab entweder deformiert, oder er bewegt sich in-
folge des Impulses erst eine gewisse Zeit nachher. Beides ist so abenteuerlich (auch
die erste Annahme, wenn man sie genauer ins Auge fasst). Da erscheint es wirklich
verständiger auf den endlich ausgedehnten starren Körper überhaupt zu verzichten,
zumal wenn man zur Definition von Zeit und Raum nur des unendlich kleinen star-
ren Körpers bedarf.
Es scheint, dass ich Ihnen den Kern der Schwierigkeit, die der Behandlung des
rotierenden starren Körpers nach meiner Ansicht entgegensteht noch nicht klar ge-
nug mitgeteilt habe. Erstens ist wohl zu beachten dass man nicht genötigt ist, die
Frage nach der Entstehung der Rotation zu behandlen; diese birgt noch ärgere
Schwierigkeiten als der Beharrungszustand. Was letzteren betrifft, so genügt es of-
fenbar nicht, dass Radien und Peripherielinien sich in Lorentzscher Weise defor-
mieren. Dies muss vielmehr für jedes materielle Element des rotierenden Kreises
gelten. Die Erfüllung dieser Bedingung erscheint aber nicht möglich—dies scheint
auch insbesondere durch Herglotz bewiesen zu sein.[3]
Ich habe mir die Sache durch folgende einfache Überlegung
zurechtgelegt.[4] Denken Sie sich in einem ruhenden materiellen
Kreis Radien eingezogen. Diese müssen, damit die Lorentzsche
Kontraktion bei rotierendem Kreis statthaben kann in der von Ih-
nen angegebenen Weise gekrümmt sein, wenn der Kreis rotiert,
und zwar vom ruhenden Koordinatensystem K aus beurteilt.
A
B
l
l
c
--
ruhend
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