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worden ist, thut mir leid, geschieht uns aber recht; denn wir waren doch auf Abbes
Offerte eingegangen und können ohne seinen Willen nicht mehr zurück. Vielleicht
ist es aber doch gut so; denn da Meissners Wohnung einem unbestimmten Schick-
sal entgegengeht, könnte ich herumziehen müssen wie der ewige Jude, was an sich
nicht uninteressant, in dieser grossen Zeit aber doch etwas beschwerlich
ist.[2]
Dem
kleinen diplomatischen Kongress bei
Moszk.[3]
hätte ich gerne beiwohnen und die
liebe Jugend dabei sehen mögen; mir gefällt der junge Mann eigentlich recht gut,
und er erscheint mir erheblich weniger nebbich als Euch. Aber in solchen Dingen
sind einmal die Frauen massgebend und scharfblickender als wir Mannsbilder. Es
thut mir sehr leid, dass unser Pfarrer am 1. September nicht mehr in Bensingen
ist;[4]
aber jetzt kann ich noch nicht hier weg. Das wäre zu kurz für meinen hiesigen
Aufenthalt.[5]
Ich habe bereits an ihn geschrieben. Nun kommt es darauf an, wann
Tante und Ilse wieder heim
kommen.[6]
Dann können wir uns treffen, wo Du es für
geeignet hältst. Von diesem Projekt gehe ich nun einmal nicht ab; Du musst auch
einmal ein bischen Freiheit haben, mein liebes
Aschenbrödel![7]
Heute Nachmittag
besuche ich zum zweiten Mal Onkel und Mama in
Weggis.[8]
Die Leutchen sind
sehr vergnügt dort. Mama läuft wieder tüchtig, was wohl auf heilsamen Fettmangel
zurückzuführen ist. Onkel schwimmt und rudert wie ein Jüngling und geniesst sein
Leben. Von der Gründung eines Haushalts scheint er leider wieder abgekommen zu
sein,[9]
der Schlingel. Wo sollte ich die Courage hernehmen, deshalb einen Stein
auf ihn zu werfen? Du kannst es Dir eher leisten als ich; aber das Ziel wird Dich
weniger reizen, Du schwarze
Seele.[10]
Die Bewegung ses Kurses verbunden mit
der Notwendigkeit, meinen Kleinen vorläufig in Arosa zu lassen, lassen meine Ver-
mögens-Verhältnisse immer gefährdeter
erscheinen.[11]
Es wird wohl nötig wer-
den, dass meine Frau über kurz oder lang zu ihren Eltern
geht.[12]
Sonst sehe ich
keinen Weg. Ich habe gestern mit Michele darüber gesprochen, der es auch
einsieht.[13]
Sie würde dahin den Kleinen mitnehmen.
Albert[14]
würde dann bei
Maja einquartiert.
Miza[15]
setzt alles in Bewegung, dass ich sie besuchen soll, und
versucht es überhaupt mit Süssigkeit. Ich aber gehe nicht hin. Soll sie in Gottes Na-
men Albert noch mehr gegen mich aufhetzen, wenn sie darin ihre Befriedigung fin-
det. Gestern waren Tante Ida und Edith
da;[16]
ihr unermüdliches Geplapper ver-
süsste den ihren raschen Abschied. Maja und
Pauli[17]
sorgen rührend für mich;
der Aufenthalt bekommt mir auch vorzüglich. Es geht nichts über ein einfaches, ru-
higes Leben. Pauli ist sehr regsamen Geistes, ein sehr angenehmer Kamerad. Er
malt hübsch und eifrig und liest viel in der freien Zeit, besorgt den Garten, hilft
Maja im Hause, ist freundlich und froher Laune. Jeden Mittag trinken sie kohlra-
benschwarzen Kaffee mit oder ohne Schnaps. Zu der Perle gratuliere ich herzlich
und mit Vorbehalt; möge auch sie es aushalten!
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