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[4]Grossmann’s son Marcel and Hans Albert Einstein both attended the fifth year of the Realgym-
nasium at the Kantonsschule Zurich.
[5]Anna Grossmann-Keller (1882–1967).
143. From Felix Ehrenhaft
Wien, XIX Grinzingerstrasse 70, am 10/IX. 1920
Sehr geehrter Herr Einstein!
Seit 3 Wochen hatte ich die Absicht Ihnen zu schreiben. Ich erhielt Ende August
beifolgenden, in Durchschlag angehefteten Brief, den ich zunächst für die Mittei-
lung eines Irren
hielt.[1]
Durch die Zeitungen auf die höchst bedauerlichen, für un-
sere Zustände beschämenden Vorgänge aufmerksam
gemacht,[2]
erinnerte ich mich
an das Schreiben und übergab es unserm Staatssekretär für
Volksgesundheit[3]
auf
seinen Wunsch. Dieser hat das Schreiben an die Freiheit nach Berlin gesandt, wie
er mir nachträglich mitteilte. Von dort hat es Eingang in unsere Arbeiterzeitung etz.
gefunden.[4]
Sollten Sie an dem Originale Interesse haben, so will ich Ihnen das-
selbe, das zur Zeit in der Hand des genannten Herrn ist, gerne einsenden oder am
Naturforschertage, wo ich Sie zu treffen hoffe,
einhändigen.[5]
Ich kann nicht umhin, Ihnen zu sagen, wie sehr ich die hässlichen Vorgänge be-
dauert habe. Wenn die ganze Sache an Ihnen auch völlig abgleiten muss, kann ich
es vielleicht eher als ein anderer ermessen, dass man durch solche Vorgänge see-
lisch sehr leidet. Dass sich das bei Ihnen auf ein Minimum reduzieren möge, ist
mein herzlicher Wunsch.
Wohl sind die Misshelligkeiten, die ich erlebt habe und noch mitmache, mit Ih-
ren nicht zu vergleichen; fassen Sie diesen Vergleich nicht als Präpotenz auf. Ich
muss Ihnen aber sagen, dass ich für meinen Teil in diesem Jahre durch skrupellose
und sogar verleumderische Agitation, welche von gewisser Seite gegen mich insze-
niert wurde und noch immer wird, sehr zu leiden
hatte.[6]
Ich freue mich sehr, Sie am Naturforschertage wiederzusehen, woselbst ich über
die radioaktiven Ausstrahlungen einzelner radioaktiver Probekörper der Grössen-
ordnung cm vortragen
will.[7]
Vielleicht finden Sie ein Stündchen Zeit, dass
ich in Nauheim vor meinem Vortrage mit Ihnen einwenig darüber sprechen kann,
worauf ich grossen Wert legen würde.
Bis 17. trifft mich eine eventuelle Nachricht von Ihnen in Wien, in Nauheim
wurde mir Wohnung im Carlton Hotel zugewiesen.
Seien Sie herzlichst begrüsst von Ihrem
F. Ehrenhaft
10–5
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