DOCUMENT 267 MAY 1911 295 267. To Michele Besso Prag. 13. V. 11 Lieber Michele! Deine neue Karte beschämt mich sehr. Ich kann mein langes Stillschwei- gen Dir gegenüber selbst nicht entschuldigen. Du aber kannst und wirst es mir verzeihen ohne Entschuldigung.- Es wäre mir eine grosse Freude, einige Zeit mit Dir zu verbringen, weiss aber noch nicht, wann es sich machen lässt. Diesen Sommer werde ich nicht von Prag weggehen, weil ich die Ferien drin- gend nötig habe zum Arbeiten. Meine Stellung und mein Institut hier machen mir sehr Freude.[1] Nur die Menschen sind mir so fremd. Das sind gar keine Menschen mit natürlichem Empfinden gemütslos und ein eigentümliches Gemisch von standesdünkelhaft und servil, ohne irgend welches Wohlwollen gegen die Mitmenschen. Protzenhafter Luxus und daneben schleichendes Elend auf der Strasse. Gedankenöde ohne Glauben. Dafür aber werde ich entschädigt durch die Möglichkeit, ziemlich unge- stört den wissenschaftlichen Grübeleien nachzuhängen. Was in der letzten Zeit fertig geworden ist, ist nicht von sehr grossem Belang.[2] Ich schicke Dir es zusammen mit diesem Brief. Gerade versuche ich, aus der Quantenhypo- these das Gesetz der Wärmeleitung in festen Isolatoren abzuleiten. Ob diese Quanten wirklich existieren, das frage ich nicht mehr. Ich suche sie auch nicht mehr zu konstruieren, weil ich nun weiss, dass mein Gehirn so nicht durchzudringen vermag. Aber ich suche möglichst sorgfältig die Konsequen- zen ab, um über den Bereich der Anwendbarkeit dieser Vorstellung unterrich- tet zu werden. Die Theorie der spezifischen Wärme hat wahre Triumphe gefeiert, da Nernst in seinen Versuchen fand, dass sich alles ungefähr so ver- hält, wie ich vorausgesagt hatte,[3] Allerdings weicht die Kurvenform syste- matisch von der aus dem Planck'schen Gesetz resultierenden ab. Aber es gelingt, diese Abweichungen ganz ungezwungen durch die Annahme zu er- klären, dass die Atomschwingungen sehr stark von monochromatischen Schwingungen abweichen. Man kann nämlich die Eigenfrequenzen aus der Elastizität berechnen und hiebei zugleich zeigen, dass die Amplitude wäh- rend einer halben Periode sich um eine Grösse von derselben Ordnung wie die Amplitude selbst ändert. Diese Verhältnisse sind dargelegt in einer klei- nen im Druck befindlichen Arbeit.[4] Könntest nicht Du mich einmal besuchen? Wir haben ein Zimmer das nichts anderes zu thun hat, als zu warten, bis es von einem meiner lieben Freunde aufgesucht wird. Die Stadt Prag ist übrigens wundervoll, so schön, dass sie allein schon eine grössere Reise lohnen würde.
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