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DOCUMENT 395 OCTOBER 1917
Was schliesslich
Ihren
Vergleich
betrifft,
dass
ein Gemälde
zwar aus
Farbenkle-
xen besteht,
aber diese
nicht
das Gemälde
ausmachen,
so
kann
man gerade
dies
ge-
gen
Sie
anführen,
denn bei dem Gemälde
handelt
es
sich eben
um
die
gleichzeitige
Vorstellung
aller der Farbenklexe und
nur
die
gleichzeitige Vorstellung
kann
es
be-
wirken,
dass
die
Ordnung
der Klexe eine
wirkliche
Bewusstseinstatsache ist. Ihr
Beispiel zeigt,
dass
der
momentane Bewusstseinszustand nicht
nur
insofern
von
ei-
nem
Machschen
Element verschieden
ist,
dass
man
eine
ganze
Menge
dieser in
ihm in
undefinierbarer
Weise vereint
antrifft,
sondern dass
er
auch
als eine blosse
Menge
solcher
Elemente nicht
richtig
beschrieben
wird,
weil dabei die
sogenannte
Gestaltqualität
vernachlässigt wird,
die sich
überhaupt
nicht
als
ein
Element
auf-
fassen
lässt,
da sie
nicht
unabhängig von
der
Menge
der Elemente denkbar ist.
(Man
kann die
Gestalt
der
Anordnung von
n
Elementen
nicht
als eine
Art
von
(n
+
1)stem Element
ansehen,
wie
etwa
das dadurch bewirkte
Gefühl,
die Gestalt-
qualität
ist aber auch eine
von
diesem
unterschiedene
Bewusstseinstatsache.)-
Was aber die den
Gestaltqualitäten
analogen
Verhältnisse der musikalischen Fol-
gen
betrifft, so ergibt
sich
hiebei,
wie ich
gezeigt
habe,
dass sich
diese,
soweit sie
Bewusstseinstatsachen
sind,
in den
einzelnen
Bewusstseinszuständen in den verti-
kalen
Projektionen
vorfinden
müssen. Das
ist
so,
als ob sich die
Gestalt
des Gemäl-
des innerhalb
jedes Farbenpunktes projizierte
und,
abgesehen
von
dieser
Projekti-
on
und
der
Einbildung
der
an
sich
ungeordneten
Farbenpunkte,
überhaupt
nicht
vorhanden wäre.
Daraus
sieht
man,
dass die
psychologischen
Verhältnisse bei den
räumlichen Gestalten
und
den musikalischen Erlebnissen sehr
verschieden
sind
und
in keiner
genauen Analogie
stehen. Im ersten Fall
handelt
es
sich
um
eine
re-
elle
Ordnung
innerhalb des
Bewusstseins,
im
anderen Falle bloss
um
reelle
Projek-
tionen,
wieder
innerhalb
des Bewusstseinszustandes und eine
eingebildete
oder
mindestens in
keiner Weise
bewusste
Ordnung. Vergleichen
Sie die letzte Seite
meiner
Abhandlung.[16]
Wenigstens
zwei Raumdimensionen sind
unmittelbar
als
Vorstellung gegeben,
dagegen gibt es
keine unmittelbare
Sukzessionsvorstellung,
sondern
nur
im
momentanen
Bewusstsein eine
Vorstellung von
der
Sukzession. So
ist
Raum
und
Zeit
im Bewusstsein einerseits
verschieden,
andererseits besteht aber
nach meinem
System
genaue Analogie,
indem
die Bewusstseinszustände ebenso
wenig an
sich
in der
Zeitordnung
sind,
wie sie
(oder
die
"Seelen“)
zueinander in
äusseren räumlichen
Ordnungsverhältnissen
stehen, was
heute
nur
wenige
mehr
annehmen. Es
wundert mich
überhaupt,
dass
infolge
dieser
Analogie
nicht
schon
längst aus
Ihrer
und
Minkowskis
physikalischer
Zeitlehre diese
philosophische
Lehre sich
ergab.
Wenn Sie sich
klar
machen,
dass
der
Bewusstseinszustand alles
eher
denn
in-
haltsarm
ist,
so
werden
Sie nicht mehr
so
stark das Bedürfnis
nach
einem
Leim
zwischen den
einzelnen
Zuständen
haben,
da
alles,
was man nur
wünschen
kann
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