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viel glatter als das Schneidern und Schustern)—erst in etwa 4–6 Monaten gestat-
ten. Vorher erscheint noch alles roh und unfertig, während es im Kopfe schon „aus-
entwickelt“ liegt.
Ich bin mir der Tragweite meiner heutigen, vorläufigen Mitteilung voll bewusst:
die Folgen sind, nach einem weiteren Hauptsiege der Relativitätstheorie, die gründ-
liche Umgestaltung der Philosophie, Schaffung der lang ersehnten Naturwissen-
schaft „Psychologie“ (unter neuem, erblich nicht belastetem Namen natürlich), die
dadurch in den Mittelpunkt des phil. Komplexes treten wird.
Gern würde ich meine Arbeit über „das Raum- und Zeitproblem der Psycholo-
gie“ als Dissertation zum Dr. phil. anlegen. Sollte die Schrift in dieser Form zum
Druck kommen, so möchte ich Sie ergebenst bitten (nach vorheriger Sicht selbst-
verständlich, die im Herbst ds. Js. voraussichtlich möglich sein wird), als der
Schöpfer der Raumzeitlehre die Widmung meiner Arbeit anzunehmen. Es würde
mir ein Ansporn sein, alle Kräfte an die Erfüllung der grossen Aufgabe zu setzen.
Ich bin mir noch nicht klar darüber, wo ich die Arbeit einreichen könnte, da sie
die bisherige Psychologie etc. pp.—„modifiziert“. Und das ist vielleicht mancher-
orts garnicht so erwünscht! Könnte ich nicht, nach entsprechendem Aufbau und
unter passendem Titel, da es sich in dem geplanten Sinne der functionalen Psycho-
logie doch um eine nat.-wissenschaftliche Disziplin handelt, die Arbeit der math.-
naturwissenschaftlichen Abteilung einreichen?
Ich bitte Sie ergebenst, mir zu verzeihen, wenn ich Ihnen, hochverehrter Herr
Professor, mit meinen Anfragen lästig falle. Ich glaube aber bei der Bedeutung der
Angelegenheit für die Wissenschaft Ihre gütige Unterstützung zu finden.
Um Ihnen die Gewährung meiner Bitte ohne Zeitverluste Ihrerseits zu ermögli-
chen, füge ich einen versandfertigen Briefumschlag bei; eine Bleistift-Auskunft
würde durchaus genügen.
—Demnächst, wenn ich über die Struktur der Anlage hinaus bin, erlaube ich
mir, Ihnen über die philosophischen Perspektiven, die Ihre Kosmologie mir eröff-
net hat, zu berichten. Auch über Spengler, der m. E. den Geltungsbereich seiner
Kulturformel überschritten hat, denn wir steuern einem neuen Aufgang (dem „Ein-
stein-Zeitalter“) entgegen, nicht versinken werden wir in müdes Resignieren des
Untergehens.[5]
In hochachtungsvoller Verehrung verbleibe ich Ihr ergebenster
Hans Wittig.
ALS. [45 272].
[1]Wittig was an engineer in Magdeburg.
[2]Most likely a reference to the students’ protests at Einstein’s lecture on 12 February. For the most
recent events, see Doc. 320.
[3]See the introduction to Weyl 1918b, p. 2, where Weyl claims that he would not be capable of giv-
ing answers to the epistemological question raised by the theory of relativity “in good conscience”
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