D O C U M E N T 5 J A N U A R Y 1 9 2 1 2 5
5. To Heinrich Zangger
[Berlin, early
1921][1]
Lieber Zangger!
Endlich raffe ich mich zum Schreiben auf. Die Zersplitterung des Wollens durch
die Buntheit der Pflichten lähmt, besonders einen Menschen, der mehr für die Kon-
zentration als für die Anpassung geschaffen ist. Ihre Eindrücke von Paris wundern
mich nicht. Unter den Romanen findet man von allen Europäern am meisten, die
das Herz am rechten Fleck haben, und die sich eine gewisse Einfalt der Gesinnung
bewahrt haben. Die Deutschen und Schweizer dagegen haben etwas Unoffenes,
Raffiniertes. Vielleicht hängt es mit dem Klima zusammen. Wie soll ein Mensch
einen offenen Sinn haben, der 7 Monate der Jahres durch das Klima gezwungen ist,
sich in seine vier Wände einzuschliessen? Und offen gestanden finde ich die
Schweizer besonders kleinlich. Ich werde nie vergessen, wie mir der Rektor Vetter
bei meinen Relativitätsvorträgen, die ich vor ein paar Jahren in Zürich hielt, vor-
warf, dass die Heizung meines Hörsa[a]les so viel Geld
koste![2]
Das würde kein
Franzose fertig bringen. Weiss Gott, wo Sie Ihr Blut her haben, dass Sie so ganz
anders eingestellt sind, als es der Nordschweizer im allgemeinen ist, dessen Gehirn
sich beständig um die Fränkli herumdreht.
Mit den Kindern bin ich sehr froh gewesen. Albert ist ein solider, selbständiger
Kerl geworden, sicher, intelligent, bescheiden. Auch mit Tetel war ich zufrieden
auch besonders bezüglich der Gesundheit. Er ist beweglich, schalkhaft, allerdings
nicht so tief und solid wie Albert. Beide sind etwas merkantilen Geistes—ohne me-
taphysisches Bedürfnis. Ich hätte es so gern, dass sie alle drei nach Darmstatt
ziehen.[3]
Dort könnten sie für Zeiten der Not etwas sparen, während so alles drauf
geht, sie in fast gedrückten Verhältnissen leben, und ich es so schwer habe, sie zu
sehen. Aber sie sträuben sich sehr dagegen und in Zürich ist niemand, der ihnen die
Sache richtig erklärt. Vielleicht denken Sie objektiv genug, um den Plan vernünftig
zu finden. Für mich wäre es eine schöne Sache, wenn sie es aus freien Stücken thun
möchten; sie dazu zu zwingen, werde ich keinen Versuch machen, da nur das gut
geht, was man gern thut.
Es ist schön von Ihnen, dass Sie so viel für Weyl
thun.[4]
Er ist unbedingt ein
Mensch von hervorragender Gestaltungskraft und genialer Veranlagung. Auf sein
neues Buch bin ich insofern sehr neugierig als mir dessen Tendenz (Grenzen der
Feldphysik) sehr nahe
liegt.[5]
Aber ich habe niemals einen brauchbaren Ansatz zu
einem neuen Ausdrucksmittel finden können, das irgendwie Erfolg versprochen
hätte. Die Weylsche Erweiterung der allgemeinen Relativitätstheorie, wie sie nun
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