7 6 D O C U M E N T 4 4 F E B R U A R Y 1 9 2 1
ursprünglichen 60 Millionen Einwohner sein müsste, wenn die Erweiterung des
Energuiquantums eine Vermehrung um weitere 6 Millionen zuliesse. Ich stehe in
dieser Beurteilung ganz auf Ihrer Seite und behaupte auch, dass Maximum kein
Optimum
ist.[6]
Ich habe deshalb in meinem Aufsatz auch nur gesagt, dass es
scheinbar das unentwegte Ziel eines jeden strebsamen Volkes ist, sich zu vermeh-
ren und die Lebenshaltung zu erhöhen. Ich sehe in der Tat, wenigstens bei weissen
Völkern der gemässigten Zone, keine Ausnahme von dieser Regel. Das Beruhigen-
de ist aber, dass dieses Uebel das kleinere von zweien ist. Denn jeder technische
Fortschritt kommt einer Energieerweiterung gleich und müsste demnach Rentner
züchten oder den Materialismus heben, wenn die Volksvermehrung nicht als neuer
Ansporn zur Tätigkeit hinzukäme. Soweit aber, dass die bewussten ersparten 2 Mil-
lionen werktätigen Menschen ebensoviele geistige Kulturarbeiter werden, ist unse-
re Volkserziehung noch nicht gediehen.
Schliesslich meinen Sie, dass meine These „Die Kohle ist das Mass aller Dinge“
näheren Untersuchungen nicht standhält, z. B. vermöge noch so viel Kohle und
noch so zweckdienlich verwandt keine Baumwolle zu
erzeugen.[7]
Da meine The-
se, wie aus geführt, bloss für heute und für Deutschland gilt, so hält sie meines Er-
achtens auch dieser Frageprobe stand. Wir können Baumwolle nur importieren und
haben gegen Importe kein anderes Tauschobjekt als potenzierte Kohle in Form
unserer industriellen und
geistigen[8]
Produkte. Folglich ist bei uns auch Baumwol-
le in Kohle ausdrückbar, was aber einfacher auf dem Wege der Geldverrechnung
geschieht, wobei wir nur immer bedenken müssen, dass unser Geld keine andere
Deckung besitzt als Energie, d. h. Kohle.
Wenn die vielen Abstraktionen, die ich mir zu machen erlaubt habe, Ihrer wis-
senschaftlichen Denkungsart zuwiderlaufen, so beweist dies nur, dass Volkswirt-
schaft keine reine, sondern eine angewandte Wissenschaft ist. Sollten Sie in der
Lage sein, für die zu erwartenden neuen Auflagen des Buches des Herrn Moszkow-
ski einige Berücksichtigung obiger Ausführungen walten zu lassen, so würde ich
dies, sowohl aus persönlichen, hauptsächlich aber aus sachlichen Gründen mit
Freuden begrüssen.
Mit der Bitte, mir diese Inanspruchnahme Ihrer Zeit gütigst zu verzeihen, bin ich
Euer Hochwohlgeboren ganz ergebenster
Friedr Siemens
1 Sonderabdruck „Im Zeitalter der Kohle“
TLS. [44 897]. A note appended at the left margin of the first page in Ilse Einstein’s hand is omitted.
[1]Siemens (1877–1952) was owner of Friedrich Siemens KG für Ofenbau in Berlin, and member
of the supervisory board of Siemens & Halske AG.
[2]Moszkowski 1921, pp. 39–41.
[3]As Moszkowski emphasized, “I confess that Albert Einstein had no knowledge, before the print-
Previous Page Next Page