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des Herzens hervorgegangen. Das empfinde ich so stark, dass es mir schwer wird,
den Antonio aus Goethes Tasso zu spielen und Ihrer freien Menschlichkeit gegen-
über von der Gebundenheit zu reden, in der jeder
steht.[4]
Ich täte es auch nicht,
wenn ich nicht davon überzeugt wäre, Ihnen damit zu dienen. Aber ich weiss in
meinem Innern, dass mit dem Älterwerden die Tage kommen, in denen Herkom-
men und Sitte und alles was die feste Ordnung des Lebens macht, ihre seelische
Gewalt zeigt und ich will nicht, dass der Mann, den ich lieb habe, später sagen soll,
dass er ohne die Warnung des Freundes einen Weg gegangen ist, auf dem die
schmerzlichen Konflikte ihm notwendig begegnen müssen.
Wenn Sie in diesem Augenblicke nach Amerika reisen, in dem der neue Präsi-
dent die Beratung des Gesetzes aufschiebt, durch das der Frieden zwischen den
Vereinigten Staaten und Deutschland ausgesprochen werden
soll,[5]
wenn Sie in
diesem Augenblicke mit englischen Freunden des Zionismus fahren, während gera-
de die Sanktionen den Gegensatz zwischen England und uns mit neuer Schärfe in
die Erscheinung treten
lassen,[6]
dann bekunden Sie vor der Öffentlichkeit der gan-
zen Welt, dass Sie nichts sein wollen als ein Schweizer, der durch Zufall seinen
Wohnsitz in Deutschland
hat.[7]
Ich bitte Sie zu erwägen, ob Sie diese Bekundung
jetzt wirklich wollen. Jetzt ist der Augenblick, in dem die Zugehörigkeit zu
Deutschland ein Stück Martyrium ist. Wollen Sie die Demonstration der inneren
Fremdheit in diesem Augenblicke wirklich? Das Bedürfnis der Menschen nach
Vertiefung hat Ihnen eine verdiente Krone aufgesetzt und Ihrem Tun und Lassen
die Bedeutung gegeben, die früher nur die Handlungen der Fürsten besassen. Was
Sie tun, tun Sie nicht nur mit Wirkung für sich selbst.
Die Engländer und die Belgier wollen den Namen Albert Einstein des deutschen
Zuges entkleiden, der ihm bisher anhaftet. Erlauben Sie ihnen das, so werden die
deutschen Juden davon zu leiden haben.
Für die ganze Welt sind Sie heute der Bedeutendste unter den deutschen Juden.
Wenn Sie in diesem Augenblicke sich ostentativ mit den Engländern und deren
Freunden verbrüdern, so werden die Menschen hierzulande darin ein Zeugnis von
der Treulosigkeit der Juden
sehen.[8]
So viele Juden sind in den Krieg gegangen,
umgekommen, elend geworden, ohne zu klagen, weil sie es für ihre Pflicht ange-
sehen haben. Ihr Leben und Sterben hat den Antisemitismus nicht aus der Welt ge-
schafft, aber ihn zur Gehässigkeit und Unwürdigkeit in den Augen derer erniedrigt,
die die Würde und Grösse unseres Landes
ausmachen.[9]
Wollen Sie den Gewinn
von soviel Blut und Leiden der deutschen Juden durch Ihr Verhalten wegwischen?
Und was gewinnen Sie, wenn Sie diese Reise jetzt ausführen, statt sie um ein Jahr
zu verschieben und ein friedlicheres Verhältnis zwischen den Völkern vor ihrer
Ausführung abzuwarten? Sie gewinnen vielleicht, dass die Universit,t in Jerusalem
ein Jahr früher entsteht, aber Sie opfern mit Sicherheit den schmalen Boden, auf
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