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ich nicht erfahren. Auch möchte ich gerne Eure persönlichen Eindrücke kennen
lernen.
Um ein gutes Beispiel zu geben, fange ich mit unsern Reiseerlebnissen an. Wir
sind ja seit bald 4 Monaten in Italien, wandern auch von einem Ort zum andern u.
sehen viel Herrliches sowohl Natur als
Kunst.[4]
Ich muß schon sagen, ich fühle
mich innerlich erst wieder so recht lebendig seit ich in Italien bin. Trotz allen un-
angenehmen Änderungen, die der Krieg u. fast noch mehr „der große Sieg“ mit
sich gebracht haben, ist es ein wunderbares Land. Wir waren in Neapel. Trotzdem
die Stadt nicht sehr charakteristisch ist u. unglaublich schmuzig, gefiel es mir doch
sehr gut dort. Eine solche Leichtigkeit, das Leben zu nehmen, wie es sich gerade
bietet, über Schwierigkeiten mit viel Humor u. Gutmütigkeit hinwegzukommen,
tut einem unendlich wohl, wenn man vom schwerfälligen Norden kommt. Und die-
se prachtvolle Lage! So etwas von leuchtenden Farben, namentlich das ganz un-
glaublich blaue thyrrenische Meer, kann sich unsere kühnste Phantasie nicht
vorstellen. Wir haben 5 wundeschöne Wochen am Cap von Sorrent verbracht u.
konnten uns nicht sattsehen an den Schönheiten der Gegend. Wir waren auch in Pa-
estum, wo noch 3 gut erhaltene altgriechische Tempel mitten in einer
Macchia[5]
nicht weit vom Meer stehen Wir haben einen ganzen Tag haben wir in den Ruinen
verlebt u. ich kann Euch nicht beschreiben, was für ein ungeheuerer Eindruck von
der Einfachheit, Wucht, Strenge u. Schönheit von diesen nur durch die Proportio-
nen wirkenden Bauwerke hervorgebracht wird. Neben der echt griechischen Kunst
verschwindet alles Römische samt der Renaissance. So beseelt wirkt nur noch, aber
in ganz anderer Art, die Gothik.
Seit 5 Wochen sind wir in Florenz, das uns so sehr gefällt, daß wir wohl kaum
mehr davon loskommen werden. Kunst u. Natur bilden ein so bestrickendes Gan-
zes, daß wenn man—so wie wir—die Wahl hat, wo man seine Zelte aufschlagen
will, man wohl nichts Besseres finden kann. Kommst Du wirklich im Herbst nach
Italien, lieber
Albert?[6]
Ich würde mich so sehr freuen, Dich endlich einmal
wiederzusehen.[7]
Wir suchen eifrig nach einem Häuschen in der Nähe von Flo-
renz. Vielleicht können wir Dich schon in unserm Heim haben, wenn Du kommst.
Das wäre wirklich eine große Freude für mich, Dir all das Schöne zu zeigen; ich
weiß daß Dir diese Gegend ganz besonders zusagen würde. Leider sind leere Woh-
nungen—wie überall sehr schwer zu finden. Auch sind sie ziemlich teuer. Leere
Häuschen zum Verkauf wären leichter zu haben u. äußerst billig. Aber das nützt uns
nichts. Wir müßen sehen, daß wir bald etwas finden, denn unsere Wohnung in
Luzern konnte leider nicht vermietet werden u. steht die ganze Zeit leer. Aber das
Leben in der Schweiz käme uns teurer in unserer Wohnung als hier im möbilierten
Zimmer. Für die nächsten 2 Monate, von Mitte Juli bis Mitte September haben wir
uns verpflichtet das Haus eines Schweizers in Florenz zu hüten. Es hat einen hüb-
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