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272. From Sigmund Zeisler[1]
127 N. Dearborn Street, Chicago, 15. October 1921.
Verehrter Herr Professor!
Die drei Tage, die wir in Amsterdam zubrachten, bevor wir uns einschifften, wa-
ren ungemein genussreich. Besonders haben wir von den Kunstschätzen des
Reichsmuseums herrliche Eindrücke mitgenommen.
Unsere Überfart auf dem „Rotterdam“ war sehr angenehm: gutes Wetter, famose
Gesellschaft. Wir kamen pünktlich in New York an, wo wir uns, d. h. meine
Frau[2]
und ich, fünf Tage aufhielten. Unsere Söhne mussten sofort weiterfaren, um ihre
Lehrtätigkeit an der Universität zu
beginnen.[3]
Auf dem Schiffe beschäftigte ich mich viel mit Ihnen. Ich las nemlich Alexander
Moszkowski’s Buch über Sie mit großem Vergnügen, Interesse und
Vorteil.[4]
Nun sind wir seit einer Woche wieder in Chicago und gewönen uns langsam an
die Alltäglichkeit des hiesigen Lebens. Die einzige Zerstreuung, die wir uns bisher
vergönnt haben, war eine gelegentliche Automobilfart, im Jackson Park entlang
des Seeufers, das Ihnen so
imponirte.[5]
Unser Auto ist wärend unserer Abwesen-
heit gründlich renovirt worden, hat auch neue Kelley-Springfield Pneumatiken
bekommen. Kennt man diese in Berlin? Sie gelten hier als erstklassig, und ich
interessire mich dafür, weil mein Banquier wärend ich in Europa war, ein Depot
von $4300. und angewachsene Zinsen in 8 procentigen Obligationen der sie erzeu-
genden großen Fabrik angelegt
hat.[6]
Heute abend findet das erste unserer Serie von 28 Symphonieconcerten
statt.[7]
Wir freuen uns schon sehr darauf.
Das mir von Ihrer lieben Frau übergebene Buch sammt dem begleitenden Briefe
habe ich persönlich an ihre Adresse
abgeliefert.[8]
Wir zehren von den schönen Erinnerungen unserer Europareise, nicht zum min-
desten der schönen Stunden, die wir mit Ihnen und Ihrer lieber Frau verbrachten.
Ernst studirt das Doppelconcert von
Bach.[9]
Das nächste Mal wird er seinen Teil
besser spielen.
Beinahe hätte ich vergessen zu erwänen, dass ich auf der Durchreise Herrn
Rechtsanwalt
Untermyer[10]
sprach. Er bestätigte die von mir ausgesprochene An-
sicht, dass sich in der Sache der beschlagnamten Actien Ihres Schwagers nichts tun
lässt,[11]
bis der Friedensvertrag von unserem Bundessenat ratificirt ist und auch
dann erst, bis der Congress ein Gesetz erlässt, durch welches die Disposition der in
den Händen des feindlichen Vermögensverwalters befindlichen Güter und Werte
bestimmt
wird.[12]
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