2 0 4 D O C U M E N T 1 0 8 M A R C H 1 9 2 2 108. To Paul Langevin [Berlin, 23/3/1922][1] Lieber Freund Langevin! Ich schrieb so lange nicht, weil ich nicht in Erfahrung bringen konnte, wann die Züge in Paris ankommen.[2] Wenn alles glatt geht, komme ich am 28. Abends an (es gibt nur eine Möglichkeit die genaue Zeit der Ankunft habe ich nicht erfahren können). Wenn ich aber in Köln keinen Anschluss bekomme, was häufig vorkom- men soll, so komme ich am 29. morgens an. Lieber Langevin! Ich bin nicht mehr so widerstandsfähig wie vor zehn Jahren[3] und wünsche nichts sehnlicher, als das Maximum der unter den obwaltenden erschwerenden Umständen erhältlichen Ruhe und Sammlung. Ausser den 4 Vorträgen an Ihrem Collège[4] und dem Diskussionsabend in der philosophischen Gesellschaft[5] will ich keiner öffentlichen Sitzung beiwohnen, sicher aber keinen Vortrag mehr halten. Zweitens bitte ich Sie, keine einzige Privateinladung für mich anzunehmen, nicht einmal bei Kollegen und überhaupt nicht a priori über die Zeit zu verfügen. Für ernsthafte wissenschaftliche Besprechungen wird dann reichlich Zeit sein. Die Geselligkeit um ihrer selbst willen ist mir aber ein Greuel und wenn man damit anfängt, ist es schwer, wieder aufzuhören, weil eins das andere nach sich zieht. Ferner will ich mit Journalisten absolut nichts zu tun haben. Dagegen würde ich ganz gern mit dem einen oder andern ernsten Politiker ein Wort spre- chen, wenn sich Gelegenheit bietet vielleicht lässt sich doch etwas gegen das Un- heil ausrichten, was von Ihrer schönen Stadt aus in die Welt getragen wird.[6] Ferner hätte ich gern Gelegenheit, mit Wissenschaftlern über die Möglichkeit der Wiederherstellung internationaler Beziehungen in der wissenschaftlichen Welt zu sprechen, aber nicht nur mit gutgesinnten, und friedfertigen. Ich bin objektiv ge- nug, um alles zu ertragen, was gesagt wird, ohne irgendwie heftig zu werden. Alle Gespräche würden am besten auf kleinen Spaziergängen geführt aber nicht bei Mahlzeiten. So komme ich auch um die sonst unvermeidlichen Schmeicheleien herum, die bei offiziellen Essen oder überhaupt bei Mahlzeiten in grösserer Gesell- schaft üblich sind. Ich bitte Sie sehr, mir mein obstinates Wesen nicht zu verübeln[,] aber sonst hal- te ich die Strapazen nicht aus. Die Herren Barclay und Borel werden meinen Stand- punkt gewiss begreifen ich lasse ihnen herzlich danken für ihre Einladung. Wenn ich alle Einladungen ablehne, können wir beide auch viel gemütlicher zusammen sein. Das dejeuner in Boulogne bitte ich auch abzusagen.[7] Ständige Motivierung: schwache Gesundheit. In der philosophischen Gesellschaft würde ich gerne keinen Vortrag halten, son- dern wir könnten uns sehr wohl auf die Diskussion beschränken, derart, dass ich
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