D O C U M E N T 6 4 J U N E 1 9 2 3 109 64. To Hugo Strelitz[1] Berlin, den 13. Juni 1923. Sehr geehrter Herr, Wenn Sie wüssten, wie es uns mit Herrn Stampe gegangen ist, würden Sie Ihren Brief sicher nicht an mich geschrieben haben.[2] Herr Stampe wird seit vier Jahren von uns mit Geld, Kleidungsstücken und sonst in jeder Weise unterstützt. Er war bis vor einigen Monaten Musiklehrer meiner jüngeren Tochter[3] und hat seine Be- zahlung für diese Stunden ordnungsgemäss erhalten. Meine Frau hat ausserdem seinen inzwischen in Tübingen verstorbenen Sohn mit Geld unterstützt. Schon in früheren Jahren hat ihn meine Familie interimsweise in meinem eigenen Zimmer in meiner Abwesenheit aufgenommen, wenn er kein Obdach hatte. Einige Wochen vor meiner Rückkehr aus Japan bat Herr Dr. Richard Stern (Vor- stand der Künstlerhilfe) meine Tochter, Herrn Stampe ein Obdach zu gewähren.[4] Er schlief zunächst in meinem Schlafzimmer. Als ich zurückkam, wurde er in einer Kammer einlogiert, welche eine halbe Treppe höher liegt als die übrige Wohnung. Die ganzen drei Monate über erhielt er von uns unentgeltlich nicht nur Wohnung, sondern auch Frühstück und Abendbrot. Der Aufenthalt in der Kammer sollte laut Dr. Strauss’[5] Mitteilung nur wenige Wochen währen. Es sind drei Monate daraus geworden. Seit 3 Wochen bitten wir Herrn Stampe in höflichster Weise, sich ein anderes Obdach zu suchen, weil wir die Kammer wegen Aufhebung der Zentralheizung zum Aufbewahren unserer Kohlen unbedingt nötig brauchen (Die Kammer ist vom Standpunkt des Woh- nungsamtes kein bewohnbarer Raum und gehört zu unserer Wohnung). Herr Stampe wurde nun unverschämt und konstruiert aus unserer allerdings fast sträflichen Gutmütigkeit Rechte. Ich denke aber, Sie sind nun genug informiert wenn nicht, so ersuche ich Sie, bei Herrn Dr. Stern weitere Informationen einzu- ziehen. Mit vorzüglicher Hochachtung TLC. [45 043]. The letter is addressed “Herrn Rechtsanwalt Strelitz Berlin W 35 Potsdamerstr. 51.” [1]Strelitz (1866–?). [2]Carl Stampe. Strelitz had claimed that evicting Stampe from the attic in which he was housed could constitute a criminal offense (see Abs. 91). [3]Margot Einstein. [4]Probably Richard Stern (1863–1938), a music publisher. In late March, Stern had expressed his appreciation for the Einsteins’ hospitality toward Stampe and his hope that Stampe would be able to continue to lodge in the attic (see Richard Stern to Einstein, 28 March 1923 [Vol. 13, Doc. 457]). [5]Most likely a typo for Stern.
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