240 DOC. 149 REVIEW WINTERNITZ 19 1924 DEUTSCHE LITERATURZEITUNG 1. Heft 20 wenn ein ehemaliger Katholik, der seine Kirche nicht nur gründlich kennt, sondern sie auch mit heißer Liebe umfaßte (und noch liebt), meine Darstellung in allen wesent- lichen Punkten für richtig und befolgenswert hält, so ist das ein Beweis, daß sie nicht verfehlt sein kann. Das Werk zerfällt in zwei Hauptteile der erste kürzere bringt eine Übersicht »über das Werden des Katholizismus im Spiegel- bild seiner Genien«. Er ist ja heute noch unter uns das einzige große religions-politischeWesentliche Gebilde, das das Altertum, das Mittelalter und die Neuzeit in seiner Erscheinung zum Ausdruck bringt. An seinen »Genien« von Paulus bis Alfons von Liguori wird seine Entwicklung in kräftigen Zügen dargestellt. Der zweite Hauptteil setzt »die Grund- elemente des Katholizismus« auseinander in 7 Kapiteln: 1. Die primitive Religion im Katholizismus, 2. Die Religion des Gesetzes- dienstes und der verdienstlichen Werke, 3. Die juridisch-politische Kircheninstitution, 4. Die rationale Theologie, 5. Die Mysterien- liturgie, 6. Das asketisch-mystische Voll- kommenheitsideal (das Mönchtum sowohl, als auch den mystischen Gottesumgang), 7. Evangelisches Christentum im Katholizis- mus. Es läßt sich für diese Einteilung sehr viel sagen, und in der Tat ist es dem Verf. gelungen, alle wesentlichen Elemente des Katholizismus in ihr unterzubringen (das primitive, das jüdische, das römische, das griechisch-philosophische in seiner doppelten Gestalt [als natürliche Theologie und als platonische Mystik] und das evangelische) und eine reinliche Erkenntnis zu schaffen allein dennoch erscheint sie mir unge- nügend denn weder die Christlichkeit noch die Originalität des Katholizismus kommen hier zu ihrem vollen Rechte, bzw. der Leser muß sie erst selbst herausfinden. M. E. muß von Anfang an und durchweg der Gegensatz von »Übernatürlich« und »Natür- lich« und in diesem Zusammenhang sofort die Kirche in den Mittelpunkt gerückt werden. Daß der Zielpunkt der christlichen Offenbarung die Kirche als Corpus Christi ist und daß in ihr eine Wirklichkeit ge- geben ist, die göttlich und menschlich, himm- lisch und irdisch zugleich ist, Zweck und Mittel, Anstalt und Gemeinschaft - das ist die originale, grundlegende und alles um- fassende Konzeption des abendländischen Katholizismus, durch die er sich von allen Religionen und von allen anderen christlichen Konfessionen unterscheidet (also: 1. die Lehre von der Kirche, 2. die Lehre der Kirche). Mit welchen Elementen diese Kon- zeption durchgeführt ist (die sich überall als complexio oppositorum darstellt, alle Ringe der Geschichte in ihrem Stamme konserviert und recht eigentlich die Menschheit als katho- lische neu und noch einmal setzt) -- dies darzulcgen darf erst die zweite Aufgabe bilden: Dennoch ist es, wie gesagt, dem Verf. ge- lungen, eine Darstellung zu geben, die alles im Katholizismus richtig erfaßt und auf klärt er vermochte das, weil er, wie bereits seine Monographie über das Gebet bewiesen hat, ein sehr feines Verständnis für wirkliche Religion besitzt, und weil ihm keines der Elemente innerlich fremd ist, welche den komplexen Charakter des Katho- lizismus begründen. Unter seinen Rezen- senten haben ihm die einen Kryptokatholi- zismus, die anderen grobes Unverständnis und antikatholischen Eifer vorgeworfen die Vorwürfe heben sich auf aber schärferes Erfassen des Lutherschen Protestantismus würde einer noch tieferen Einsicht des Wesens des Katholizismus als Religion und als Christlichkeit zugute gekommen sein. Hier reicht die Analyse seiner kon- stitutiven Elemente nicht überall aus, weil bei ihr Wesentliches zu entschlüpfen droht. Es gilt hier, sich in den evangelischen und den katholischen Glaubensbegriff (über das Glaubensgesetz hinaus) und in die sittlichen Voraussetzungen dort und hier bis zum letzten Punkt zu vertiefen. Eine neue Auf- lage, die dem gehaltvollen Werk gewiß kommen wird, wird dazu Gelegenheit bieten. Es han- delt sich nur darum, die eindringenden Be- trachtungen bis zum Ende zu verfolgen, die den Hauptwert des Werkes bilden. Berlin. A. v. Harnack. Philolophie J. Winternitz [Dr. phil.], Relativitätstheo- rie und Erkenntnislehre. [Wissen- schaft und Hypothese Bd. XXIII.] Leipzig, B. G. Teubner, 1923. 230 S. 8°. Bei philosophischen Autoren zeigt sich häufig der Mangel an Gestaltungskraft darin, daß sie ihren Gegenstand nicht selbst nach eigenem Plane systematisch darlegen, sondern ihre Thesen von anderen übernchmen und diese nur zu kommentieren oder zu kritisieren suchen. Der starke Autor aber ringt selbst [1]
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