396 DOC . 260 INTRODUCTION LUCRETIUS [1] GELEITWORT Auf jeden, der nicht ganz im Geiste unserer Zeit aufgeht, sondern seiner Mitwelt und speziell der geistigen Einstellung der Zeitgenossen gegenüber sich gelegentlich als Zuschauer fühlt, wird das Werk von Lukrez seinen Zauber ausüben. Man sieht hier, wie sich ein mit naturwissenschaftlichem und speku- lativem Interesse begabter, mit lebendigem Fühlen und Denken ausgestatteter, unabhängiger Mann die Welt vorstellt, der auch von denjenigen Ergebnissen der heutigen Naturwissenschaft keine Ahnung hat, die uns im Kindesalter beigebracht werden, bevor wir ihnen bewußt oder gar kritisch gegenüberstehen können. Einen tiefen Eindruck muß das feste Vertrauen erwecken, das Lukrez als treuer Schüler Demokrits und Epikurs in die Verständlichkeit, bezw. den kausalen Zusammenhang alles Welt- [2] geschehens setzt. Er ist fest Überzeugt, ja er glaubt sogar beweisen zu können, daß alles auf der gesetzmäßigen Bewegung unveränderlicher Atome beruhe, wobei er den Atomen keine anderen Qualitäten zuschreibt als geometrisch - mechanische. Die Sinnesqualitäten Wärme, Kälte, Farbe, Geruch, Geschmack sollen auf die Atombewegungen zurückgeführt werden, ebenso alle Lebenserscheinungen. Seele und Geist denkt er sich aus besonders leichten Atomen gebildet, indem er (inkonsequenter Weise) besonderen Erlebnischarakteren besondere Qualitäten von Materie zuordnet. Als Hauptziel seines Werkes stellt er die Befreiung des Menschen von der durch Religion und Aberglauben bedingten VIa
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