DOCUMENT 73 JANUARY 1908 87 wird. Ich will Ihnen nicht mit einer Selbstkritik kommen Selbstkritiken tau- gen selten etwas, und sind ja für andere auch wertlos. Aber ich versichere Ih- nen, dass ich, w[e]nn ich in München wäre und Zeit hätte, mich in Ihr Kolleg setzen würde, um meine mathematisch-physikalischen Kenntnisse zu ver- vollständigen.- Zuerst nun die Frage, ob ich die relativitätstheoretische Behandlung z. B. der Mechanik des Elektrons für eine endgültige halte. Nein, gewiss nicht. Auch mir scheint es, dass eine physikalische Theorie nur dann befriedigen kann, wenn sie aus elementaren Grundlagen ihre Gebilde zusammensetzt. Die Relativitätstheorie ist ebensowenig endgültig befriedigend, wie es z. B die klassische Thermodynamik war, be[vo]r Boltzmann die Entropie als Wahrscheinlichkeit gedeutet hatte.[2] Wenn uns nicht das Michelson- Morley'sche Experiment in die grösste Verlegenheit gebracht hätte, hätte nie- mand die Relativitätstheorie als eine (halbe) Erlösung empfunden. Ich glaube übrigens dass wir noch weit davon entfernt sind, befriedigende elementare Grundlagen für die elek[t]rischen und mechanischen Vorgänge zu besitzen. Zu dieser pessimistischen Ansicht komme ich hauptsächlich infolge endloser vergeblicher Bemühungen, die zweite universelle Konstante im Planck'schen Strahlungsgesetz in anschaulicher Weise zu deuten.[3] Ich zweifle sogar ernst- lich daran, dass man an der Allgemeingültigkeit der Maxwell'schen Glei- chungen für den leeren Raum wird festhalten können. Für Ihre Untersuchung über die Ausbreitung von Signalen würde ich mich [se]hr interessieren.[4] Da ich nicht wusste, dass Sie diese Untersuchung ver- öffentlichen würden, hielt ich es beim Schreiben des letzten Briefes[5] aber nicht für schicklich, Sie um weitere Mitteilungen darüber zu bitten, weil die Erfüllung jener Bitte für Sie einen Zeitverlust bedeuten konnte. Es freut mich sehr, dass Sie den von I[h]nen genannten Herrn Dr. Koch[6] zur Ausführung jenes Kanalstrahlen-Versuches veranlassen wollen. Aber ich muss Ihnen sagen, dass mir Herr J. Stark seinerzeit (vor etwa einem halben Jahre) mitteilte, er wolle die Sache in Angriff nehmen [7] allerdings schrieb er mir seitdem wiederholt, ohne die Sache wieder zu erwähnen. Wenn Herr Dr. Koch auf diese Untersuchung aus diesem oder einem anderen Grunde nicht einzugehen geneigt ist, so wüsste ich ihm noch eine andere experimentelle Arbeit, deren Ausführung mir sehr am Herzen liegt. Es han[d]elt sich um ein elektrostatisches Maschinchen für Messzwecke, vermittelst dessen noch weit kleinere elektrische Mengen der Messung zugänglich gemacht werden sollen als, als dies bei den gegenwärtigen Elektrometern der Fall ist.[8] Wenn Sie oder er sich dafür interessieren, will ich gerne ausführlichen Bericht über die- se Sache geben.[9]
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