558 DOCUMENT 476 OCTOBER 1913 Mein Onkel Kosmann, der Arme ist vom Alter (78 J.) und dem Abenteuer der armen Marie ganz konfus geworden.[5] Er lebt mit Berta,[6] die es schwer mit ihm aushält, im obern Stock seines Häuschens. Marie, deren Mann ein Hei- ratsschwindler ist, und im Gefängnis brummt,[7] ist bei Ulm in einem Dörf- chen einquartiert. Ich besuchte sie Mittwoch Morgen mit Onkel K. sie freute sich sichtlich. Ich sprach ihr Mut ein und nahm mir vor, die arme etwas schwachsinnige Person später zu unterstützen, wenn die andern sie verlassen sollten. Dienstag Abend waren wir bei Klementine,[8] auch Onkel K., der sich drolligerweise seines alten Rockes wegen wie ein junges Mädchen schämte er hatte vergessen, Toilette zu machen (er nimmts tragischer als sein Neffe!). Meine Mutter freute sich sehr damit, dass Du mich verleitetest, ihr Gut- schen[9] zu bringen. Dass die derniere illusion" bei ihr wirklich keine allzu geringe Rolle spielt, habe ich heute an der arglosen in einer Konditorei deut- lich beobachten können. Meine Frau war schon einige Tage hier [10] sie ist gottlob mit ihrem jungen Landsmann ziemlich in Anspruch genommen viel- leicht ist sie darum so pünktlich eingetroffen. Sie fragte nicht nach Dir, aber ich glaube, sie unterschätzt darum doch nicht die Bedeutung, die Du für mich hast. Meine Mutter tröstete mich damit, dass ich bald in Deine Nähe komme, ohne dass ich sie dazu irgendwie animiert hätte. Von dem bedenklichen Abenteuer, das sie mit Dir hatte,[11] lässt sie nichts merken und ahnt auch nicht, dass ich davon weiss. Sie hat offenbar Reue und wird sich sicherlich bemühen, die Sache wieder gut zu machen, so gut es gehen mag. Miza[12] und sie führen einen Eiertanz umeinander auf, nicht gerade graziös, aber possier- lich. Entschuldige den Salat, den ich Dir da vorsetze aber Du bist jetzt mein Kamerad und kriegst alles ungeschniegelt und ungebügelt von mir aufge- tischt. Wenn Du mir viel Freude machen willst, so mache es auch so. Man er- lebt ja auch alles kunterbunt durcheinander. Sei geküsst nebst meinen Stiefkinderchen Ilse und Margot[13] von Deinem Albert. Die borstige Freundin, die Du mir mitgabst[14] kann sich nicht über fehlen- de Aufmerksamkeit von meiner Seite beklagen. Auch sonst will ich mich der liebenswürdigen Herrschaft gern fügen, die Dir mein Freund und Impresario Haber[15] über mich gegeben hat! Herzliche Grüsse an Ludwig Kraft.
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