DOCUMENT 488 MARCH 1918 691
488.
From
Gustav Mie
Halle
a.
S.
Magdeburgerstr.
47
I.
d. 21. März.
1918.
Lieber
Herr
Kollege!
Durch
persönliche
Umstände,
nämlich eine
ziemlich schwere
Erkrankung
mei-
ner
Frau,
die
gottlob
überstanden
ist,
bin ich
verhindert
worden,
Ihren
Brief
vom
22.
Februar[1]
eher
zu
beantworten. Indessen hat
jetzt
auch wohl
jeder
von
uns
sei-
nen
Standpunkt
in der
Hauptsache genügend dargelegt.
Nur
eines
muss
ich noch
sagen:
Sie
meinen,
ich hätte Ihre
Abhandlung
"kosmo-
logische Betrachtungen"[2]
total missverstanden.
Das
glaube
ich aber
nicht. Ich
un-
terscheide
nur
scharf
zwischen
dem,
was
Sie mit den dort
aufgestellten
Gravitati-
onsgleichungen
zu
erreichen
wünschen,
und
dem,
was
soviel ich sehen kann wirk-
lich damit
zu
erreichen
ist.[3]
Ich bin
überzeugt,
dass,
wenn man
wirklich ein
vernünftiges Integral
Ihrer
Gleichungen
mit
X
gewinnt,
dass dann in diesem Inte-
gral
in den weiten Welträumen zwischen den einzelnen Fixsternen
p
einen kon-
stanten Wert haben
muss,
also als eine den Raum kontinuierlich erfüllende Massen-
dichte auftreten
muss.
Ich habe mir die Sache sehr
gründlich überlegt
und
glaube
nicht,
dass ich mich
irre.[4]
Von
sehr
großem
Interesse scheint
mir aber
das
Gleichungssystem
mit dem
von
Null verschiedenen
X
für
die
Erkenntnistheorie
zu
sein. Wir wissen
alle,
dass das
Parallelenaxiom ein
physikalischer
Satz
ist,[5] es
giebt, um
einmal meine Termino-
logie zu gebrauchen,
eine bestimmte
Eigentümlichkeit
der
Aetherphysik
an
und
steht
so
auf
einer
Stufe
mit dem
Relativitätsprinzip,
dem Hamiltonschen
Prinzip
u. s. w.
Es ist
aber-wenigstens
mir-bisher immer
rätselhaft
gewesen, wo
eigent-
lich die Stelle
ist,
an
welcher das
Parallelen-Axiom
in die
physikalischen
Grund-
gleichungen eintritt,
denn
so
wie die
Grundgleichungen vor
Ihrer
Publikation
"kos-
mologische
Betrachtungen"
bisher
immer formuliert
wurden, setzte
man
in ihnen
das Parallelen-Axiom
von
vorneherein
stillschweigend
voraus.
Das wird
nun
auf
einmal
anders,
in Ihren
neuen Gleichungen
sieht
man
jetzt
endlich einmal
deutlich,
in welcher Weise das Parallelen-axiom in den der
experimentellen Prüfung
zu-
gänglichen Grundgleichungen
der
Aetherphysik
steckt. Es
handelt
sich einfach
um
den
experimentell
bestimmbaren
Koeffizienten
[A],
ist
er
Null,
so
gilt
das Paralle-
lenaxiom,
ist
er
von
Null
verschieden,
so
hat
der
Raum eine konstante
Krümmung,
deren Größe
aus X zu
berechnen ist.
Warum Sie mit
meiner
Auffassung
Ihrer Gravitationstheorie
von
1915[6]
so un-
zufrieden
sind,
verstehe ich noch immer nicht
recht,
aber in diesem Punkt werden
wir
uns
wohl nie
verständigen
können.
Um trotzdem
noch einen Versuch dazu
zu
machen,
will ich
Ihnen einmal
meinen
Standpunkt
in
einer
ganz
neuen
Form dar-
stellen,
die
mir
inzwischen
eingefallen
ist.
Previous Page Next Page