890
DOCUMENT
624 SEPTEMBER 1918
624. To Eduard
Study
[Berlin,]
25. IX.
18
Hochgeehrter
Herr
Kollege!
Besten Dank für den freundlichen
Brief.[1]
Ihre "Kinematik" habe ich noch
nicht,[2]
würde mich also sehr damit freuen. Ich soll Ihnen meine Bedenken
sa-
gen?[3]
Durch
Heraushebung
dieser bekommt
es
den
Anschein,
als wolle ich Ihnen
überall
am Zeuge
flicken.
Aber
es
ist
deswegen
nicht
so
schlimm,
weil
ich
mich
in
keinem
der
"-ismen"
ganz
wohl und zuhause fühle. Es kommt
mir immer
vor,
als
ob ein solcher ismus
nur so lange
stark
wäre,
als
er
sich
von
der Schwäche seines
Gegen-ismus
nährt;
ist aber letzterer
tot
geschlagen,
und
er
allein
auf
weiter
Flur,
dann erweist auch
er
sich als
schlotterbeinig.
Also los mit
der
Stänkerei!
"Die
Körperwelt
ist real". Das soll die
Grundhypothese
sein. Was heisst da
"Hy-
pothese".
Für
mich ist
eine
Hypothese
eine
Aussage,
deren
Wahrheit einstweilen
vorausgesetzt,
deren Sinn
aber über
jede Zweideutigkeit
erhaben
sein
muss.
Obige
Aussage
scheint mir aber
an
sich
sinnlos,
wie
wenn
man sagte:
"Die
Körperwelt
ist
kikeriki". Es kommt mir
vor,
dass "real" eine
an
sich
leere,
bedeutungslose
Kate-
gorie (Schublade) ist,
deren
ungeheure
Wichtigkeit
nur
darin
liegt,
dass ich
gewisse
Dinge
hinein thue und
gewisse
andere nicht.
Allerdings
ist diese
Einteilung
keine
willkürliche
sondern........nun
sehe ich Sie
grinsen
und
erwarten,
dass ich in
den
Pragmatismus
hineinfalle,
um
dann
von
Ihnen
lebendig begraben
zu
werden.[4]
Ich mache
es
aber lieber
wie
Marc
Twain,
indem ich Sie
ersuche,
die
Schauerge-
schichte selbst nach
Wohlgefallen
zu
Ende
zu
führen.[5]
Es
scheint mir mit real und irreal ähnlich
zu
sein wie mit rechts und
links
Ich
gebe zu,
dass die
Naturwissenschaft
vom
"Realen" handelt und bin doch nicht
ein
"Realist".
Das kann Ihnen einerlei
sein,
und ich fühle mich auch nicht als Ihr
Gegner.
Denn ich möchte den
Lehrsatz
aufstellen:
Wenn
man
zwei
beliebige
"ismusse"
von
allem Unrat
säubert,
dann werden sie
einander
gleich.
Deshalb konnten Sie
von
den Priestern aller ismen in Gnaden
aufgenommen
werden. Sie wurden
es,
weil
man an
Ihrer Grazie Gefallen fand.
Der
Positivist bezw.
Pragmatist
ist
stark,
solange er gegen
die
Meinung kämpft,
dass
es
Begriffe [gä]be,
welche im
"A priori"
verankert sind.
Wenn
[er]
im Eifer
vergisst,
dass alle Erkenntnis
[in] Begriffen
und Urteilen
besteht,
so
ist das eine
Schwäche,
die nicht in der Sache sondern in seiner
persönlichen Disposition liegt
ebenso
der
sinnlose
Kampf
gegen
die
Hypothese, vgl.
das kleine Buch
von
Du–
Previous Page Next Page