DOCUMENT 435 JANUARY 1918 605
Die Fortschritte der Astronomie in den letzten Jahrzehnten beruhen
w[ei]t
mehr
auf
Vervollkommnung
der
Präzision der
Beobachtungsmethoden
als
auf
prinzipi-
ellen,
auf
der Theorie
beruhenden
Neuerungen.
So
kam
es,
daß rein
praktisches
Geschick im Beobachten höher
geschätzt
wurde als theoretisches Wissen und Kön-
nen.
Nach diesem
Gesichtspunkt
wurden die Arbeitskräfte
ausgewählt
und
gelang-
ten
nach
einiger
Zeit
in die leitenden
Stellungen
auf
den Sternwarten. Die
Folge
davon
ist,
daß das Sammeln
möglichst
präziser
Beobachtungen zum
Selbstzweck
wurde,
und daß die
führenden
Astronomen im
allgemeinen
eine ziemlich
geringe
theoretische
Bildung
und
Einsicht besitzen.[3] So
zeigt
sich,
daß die
neueren
Bestrebungen
auf
dem Gebiete der Gravitationstheorie im
allgemeinen
bei den
Astronomen
auf
vollkommene
Verständnislosigkeit
und
Interesselosigkeit
stoßen,
trotzdem
doch
die
Erforschung
der
Gravitation
als die
wichtigste
Aufgabe
der
Astronomie
angesehen
werden muß.
Als
einzige
leuchtende Ausnahme
ist der
leider
verstorbene Schwarzschild[4]
zu
nennen,
der mit
einer
glänzenden
theoretischen
Begabung
ein hinreichendes
prak-
tisches Können in den
Beobachtungsmethoden verband,
um große Gesichtspunkte
in den Arbeiten seines Institutes
zur
Geltung
zu
bringen.
Eine
Besserung
der
jetzigen
Verhältnisse kann
nur
dadurch
herbeigeführt
wer-
den,
daß
an
den
großen
Sternwarten
Neu-Babelsberg
und Potsdam wieder theore-
tisch,
nicht
nur
praktisch
geschulte
Männer
angestellt
werden,
und daß ihnen auch
die
nötige
Freiheit der
Betätigung gewährt
wird.
Von
den
jüngeren
Astronomen
in
Neu-Babelsberg
u.
Potsdam
ist
Herr
Freundlich meines Wissens der
einzige,
der in
der
Mathematik, Him[me]lsmechanik
u.
Gravitationstheorie
gediegene
Kenntnisse
besitzt.
Ungleich weniger begabt
als Schwarzschild hat
er
doch mehrere Jahre
vor
diesem die
Wichtigkeit
der
neuen
Gravitationstheorien für die Astronomie erkannt
und sich mit
glühendem
Eifer
für die
Prüfung
der
Theorie
auf
astronomischem be-
ziehungsweise
astrophysikalischem Wege eingesetzt.[5]
Das ablehnende Verhalten
seines Direktors hat
es
ihm
jedoch
sieben Jahre
lang unmöglich gemacht
seine
auf
die
Prüfung
der
Theorie
gerichteten Arbeitspläne
zur
Ausführung zu bringen.
Freundlich mußte
statt
dessen
Jahr
aus
Jahr
ein eine Arbeit
verrichten,
zu
welcher
jeder
normal
veranlagte
18
jährige Junge
nach kurzer
Schulung
verwendet werden
könnte.[6]
Es
wäre im Interesse
der
Wissenschaft und der
Billigkeit
sehr
zu
wün-
schen,
wenn er an
einem
der
beiden
großen
Institute derart
angestellt
werden könn-
te,
daß
er
den
Gegenstand
seiner Arbeit bis
zu
einem
gewissen
Grade frei wählen
könnte. Daß
Herr Freundlich
noch
nicht
die
Möglichkeit
hatte,
auf
gewissen
Ge-
bieten der
Astrophysik
sich
praktische
Kenntnisse
anzueignen spielt gegenüber
den
erwähnten,
zu
seinen Gunsten
sprechenden
Verhältnissen eine verschwindend
geringe
Rolle.
Dieser Defekt
kann in
kurzer Zeit
ausgeglichen
werden. Ob
Herr
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