630 DOCUMENT 456 FEBRUARY 1918
456. From Gustav Mie
Halle
a.
S.
Magdeburgerstr.
47I
d. 5. Februar 1918.
Hochgeehrter
Herr
Kollege!
Für
die
Zusendung
der
Sonderdrucke Ihrer letzten Arbeiten
sage
ich
Ihnen,
wenn
auch
etwa
verspätet,
noch vielen herzlichen
Dank![1]
Leider
bin ich nach den
Weihnachtsferien sehr durch den Unterricht in
Anspruch genommen gewesen
und
habe darum meinen
Vorsatz,
Ihnen
zu
schreiben,
noch bis
jetzt
aufschieben müs-
sen.
Ich möchte
nun an
Ihren Aufsatz:
"Kosmologische Betrachtungen“,[2]
den ich
mit
besonderem
Interesse
gelesen
habe,
einige Bemerkungen anknüpfen.
Ich sehe
das
wichtigste
Resultat dieser
Untersuchung
in
dem
Satz:
"Das
Parallelen-Axiom
ist
unabhängig
von
dem Axiom
der
allgemeinen
Transformierbarkeit der Grund-
gleichungen
der
Physik“.[3]
Dieses
Resultat
finde ich
ganz
außerordentlich interes-
sant.
Allerdings muss
ich
gestehen,
dass ich trotzdem
persönlich
keine
Neigung
spüre,
das
Parallelen-Axiom,
welches wesentlich
an
der wundervollen Einfachheit
der
allgemeinen
mathematischen
Grundlagen unserer
im Einzelnen
so
verwickel-
ten
Welt
beteiligt
ist,
fallen
zu
lassen. Was im Unendlichen in Raum und
Zeit
los
ist,
ist
mir
eigentlich ganz egal,[4]
und
wenn
ich auch
aus
Ihrer Schrift
sehe,
dass
es
nicht
allen Naturforschern
so
geht,
so
weiß ich
doch,
dass auch ich noch manche
Gesinnungsgenossen
habe. Grübeleien über diese
Dinge
können,
wie Ihre Arbeit
beweist,
gewiss zu
sehr interessanten
Überlegungen
einen Anstoß
geben,
aber
zu
entscheidenden Urteilen wird
man
sie wohl nicht hinzuziehen
dürfen.[5]
Eine
Bemerkung
möchte ich mir
nun
zu
dem in dieser
Abhandlung
in Gl.
(15)
ausgedrückten
Satz:
p
=
2/k.R2
erlauben.[6] Diese
Beziehung
scheint auszudrük-
ken,
dass der
Krümmungsradius
R des Raumes durch die
Dichtigkeit
der
gesamm-
ten
in ihm
ungefähr gleichmäßig
verteilten Materie bestimmt sei. Diese
Behaup-
tung
würde aber falsch
sein.[7]
Definieren
wir,
wie
es
üblich
ist,
die Einheit
der
Masse durch die Masse eines
bestimmten
Atoms
(1
gr
=
N/16
Sauerstoffatome,
wo
N die
Avogadrosche
Zahl
ist)
und die Einheiten
der
Länge
und der Zeit durch einen
bestimmten
Atom-Vorgang
(1 cm
=
15
531,6403
x Wellenlängen
der
roten
Cd-Li-
nie;
1
sec
= 3.1010/15531,6403X
Schwingungsdauer
dieses
Lichtes),
so
ist leicht
zu se-
hen,
dass bei
irgend
einem
gegebenen
Wert
R
cm
für den
Krümmungsradius
des
Raumes,
die
Dichtigkeit
der
gleichförmig
im Raum verteilten Masse der Welt
je-
den
ganz beliebigen
Wert
pgr/cbcm
haben kann. Nenne ich den
Wert,
der sich
aus
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