8 0 D O C U M E N T 5 2 J U N E 1 9 1 9
vorstellen, dass Weyl gedrückt wäre, weil er zu wenig verdient, weiss aber nichts
über sein
Einkommen.[3]
Viel eher glaube ich, dass es die ungeheuren Schwierig-
keiten und Mühen sind, die er bei dem von ihm eingeschlagenen Wege, die allge-
meine Relativitätstheorie weiterzubauen, findet. Nach meiner festen Überzeugung
ist es ein Irrweg; aber er glaubt fest daran und Gott allein kennt die
Wahrheit.[4]
Weyl ist ein grosser Kerl und wird seinen Weg schon finden. Man sollte ihn unbe-
dingt in Zürich halten. Ende dieses Monats komme ich wieder nach Zürich, um den
zweiten Teil der Vorlesung über Relativität zu
halten.[5]
Ich freue mich sehr auf
Euch alle und auf meine Buben. Leider habe ich in Luzern meine Mutter liegen, die
an einem vorgeschrittenen Unterleibskrebs
leidet.[6]
Dort werde ich mich so viel
als möglich aufhalten müssen. Ich habe einen kleinen Fortschritt in der Rel. Theo-
rie gemacht, bin aber nicht sicher, ob ich das Richtige getroffen
habe.[7]
Selten gibt
die Natur eines ihrer herrlichen Geheimnisse preis! Hier ist die politische Welle ab-
geflaut. Man hat keine Kraft mehr für grosse Emotionen sondern ist mehr oder we-
niger passiv. Das Ende des Krieges wird im Volk als Befreiung empfunden, das
Wiedererscheinen von Gemüsen als Erleichterung. Bei den Unternehmern Mangel
an Initiative wegen Unsicherheit der Zukunft, bei den Massen [sc]hwache Regung
des Selbstgefühls, verbunden mit Arbeitsunlust. Die bolschewistische Welle
scheint durch die Friedensbedingungen mehr oder weniger neutralisiert zu wer-
den;[8]
aber man kann sich täuschen und muss bescheiden warten, was kommen
will. Jedenfalls bin ich nicht pessimistisch sondern sehe eine nicht gerade herrli-
che, aber erträgliche Zukunft herankommen. Zu eigentlich freien Zuständen kann
es hier nicht kommen, wo die Menschen nichts anderes kennen als Unterwürfigkeit
und—Wut.
Planck von hier wegzukriegen, daran ist gar nicht zu
denken.[9]
Er wurzelt mit
allen Fäden an seiner Heimat wie kein anderer, ist nicht so ein entwurzeltes Ge-
wächs wie unsereiner. Mir fehlt jedes derartige Gefühl; nur Pflichten gegen den
Menschen als solchen und Anhänglichkeit gegenüber denen, die mir persönlich nä-
her getreten sind, kenne ich. Jedenfalls gefallen mir [d]iese hiesigen Menschen im
Unglück besser als im Glück und Überfluss, wie auch diese Landschaft in der vol-
len Sonne nicht geniessbar ist.
Auf ein frohes Wiedersehen! Ihr
Einstein.
ALS (SzZ, Nachl. H. Zangger, box 1c). [39 715].
[1]Most likely the preceding document.
[2]“Anginos-Tabletten” caused heart problems for Elsa Einstein in February (see Doc. 7).
[3]Hermann Weyl was earning 10,000 Swiss francs annually, starting 1 October 1918, according to
the Schulratsbeschluss in its meeting of 7 November 1918 (see Frei and Stammbach 1992, p. 30).
[4]Einstein had strong objections to several aspects of Weyl’s unified theory of gravitation and elec-
tromagnetism, such as the dependence of the lengths of measuring rods and of the rate of clocks on
Previous Page Next Page