D O C U M E N T 8 0 A U G U S T 1 9 1 9 1 2 1
haben wir noch nicht zu den dort aufgestapelten Dokumenten vordringen können;
es gibt offene und besonders verdeckte
Widerstände.[1]
Natürlich erfahre ich hier
nichts davon, was sich seit meiner Abreise zugetragen hat, sodass ich Ihren freund-
lichen
Brief[2]
erst dann werde richtig beantworten können, wenn ich wieder heim
komme (Mitte August).
Ich begreife die Erbitterung wegen des berühmten Manifestes der 93, welches
übrigens von dem Schriftsteller Sudermann verfasst
ist.[3]
Als ich nämlich einmal
neben ihm sass und über jenes Manifest nicht eben in zarten Tönen mich ausge-
sprochen hatte, bekannte er sich freimütig und ohne allzuviel Scham als sein Autor.
Dieser ist übrigens ein braver und selten wohlwollender Mensch, solange man ihm
nicht das rote Tuch „Politik“ vor die Augen
hält.[4]
Ich begreife, wie gesagt, jene
Erbitterung, aber sie hat für mich doch einen leisen Stich ins Komische, wenn auch
lange nicht so arg wie das Manifest selbst mit seinen mannhaften Verteidigern.
Wenn ein Haufe Menschen an einem Kollektivwahn erkrankt ist, so soll man ihn
unschädlich machen; aber Hass und Erbitterung können grosse und sehende Men-
schen für die Dauer nicht beherrschen, sie seien denn selbst erkrankt. Man muss
sich doch vor Augen halten, dass die moralischen Qualitäten der Menschen sich in
ihren Mittelwerten von Land zu Land nicht gar zu sehr voneinander unterscheiden.
Für das Handeln ist aber ausserdem die Zeitströmung und die Situation wesentlich;
daher wohl die scheinbar grossen Unterschiede. Mag man immerhin die deutschen
Gelehrten eine Anzahl Jahre vom internationalen geselligen Verkehr der Gelehrten
ausschliessen;[5]
dies ist vielleicht für sie eine Schule der Bescheidenheit, die nicht
gar viel Schaden stiften wird—hoffentlich sogar Nutzen. Viel Bedeutung hat die
Sache keineswegs.
Wichtig aber scheint mir, dass man in Deutschland das Verhalten der „Feinde“
verstehen lernt, damit nicht der abscheuliche Revanche-Gedanke Platz greife, aus
dem später neuer Jammer erwachsen könnte. In diesem Sinne zu wirken ist unser
bescheidenes Ziel.
An Herrn
Solvay[6]
habe ich oft gedacht und freue mich, dass es ihm gut geht,
und er den Sieg der Gerechtigkeit hat erleben dürfen. Es ist aber doch schade, dass
nun Nernst nicht mehr in Brüssel erscheinen kann, denn sein Französisch ist von
unwiderstehlicher
Anmut[7]
—gewiss erinnern Sie sich noch daran (sic transit glo-
ria mundi).
Dies Briefchen soll nur dazu dienen, Ihnen von Herzen dafür zu danken, dass Sie
sich so viel Mühe gegeben haben. Sobald ich in Berlin ankomme, will ich nach Be-
sprechung mit den andern Mitgliedern unserer Kommission sachlich
berichten.[8]
Mit herzlichen Grüssen an Sie, Ihre Frau und die Kinder und
Enkel[9]
bin ich Ihr
freundschaftlich ergebener
A. Einstein.
Glückliche Ferien!
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