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292. From Rudolf Wegscheider
Wien, 1. Februar 1920.
Hochgeehrter Herr Kollege!
Besten Dank für Ihren gestern eingetroffenen Brief vom 20.
Jänner![1]
Ich glau-
be darin eine mir sehr wertvolle Bestätigung der Anschauungen erblicken zu dür-
fen, welche ich mir über Ehrenhafts Arbeiten gebildet habe. Mir scheint die Sache
so zu stehen, dass einerseits der gegenwärtige Stand der theoretischen Physik die
Annahme des Elektrons erfordert, anderseits die Beobachtungen Ehrenhafts unter
Zugrndelegung der gegenwärtig für den Fall und die Bewegung im elektrischen
Feld angenommenen Gesetze damit unvereinbar sind. Es ist leicht möglich, dass
das Elektron den Sieg davontragen wird. Aber dann zeigen Ehrenhafts Versuche,
dass die bisher angenommenen Gesetze für sehr kleine Teilchen abgeändert wer-
den müssen, was ebenfalls ein wichtiges Ergebnis ist, wenn es auch wahrscheinlich
nicht die Bedeutung hätte wie der Nachweis, dass es kleinere Elekrizitätsmengen
gibt als das Elektron. Aehnlich scheint es mir auch bei der negativen Photophorese
zu stehen. Der Nachweis dieser überraschenden Tatsache bleibt eine wichtige ex-
perimentalphysikalische Leistung, auch wenn sie sich vollständig auf Radiometer-
wirkung u. dergl. zurückführen lassen
sollte.[2]
Denn alle bekannten Radiometer-
wirkungen sind, wenn meine Kenntnis nicht lückenhaft ist, Drehungen. Durch den
Nachweis einer geradlinigen Bewegung zum Licht ist das Experiment jedenfalls
der Theorie vorausgeeilt, gleichgiltig, wie die Theorie sich damit abfinden wird.
Nebenbei haben die Arbeiten Ehrenhafts noch manches andere wichtige zutage ge-
fördert, z. B. die Sicherstellung der Grössenbestimmung kleiner Teilchen, den ex-
perimentellen Nachweis des Schwarzschild-Debyeschen Maximums beim Licht-
druck.[3]
Für Ihren Hinweis auf J. Franck bin ich Ihnen sehr verbunden. Wenn er auch be-
reits meine Aufmerksamkeit erregt hatte, so hatte ich doch keine Zeit, mich in seine
mir etwas fern liegenden Arbeiten zu vertiefen, und war daher nicht in der Lage,
ihn gegenüber anderen Experimentalphysikern
abzuschätzen.[4]
Nun erst komme ich zu dem Hauptzweck meines Briefes. Sie haben Ihren Brief
als streng vertraulich bezeichnet; ich würde aber einen Brief brauchen, von dem ich
in der Fakultät Gebrauch machen kann. Das werden Sie aus folgender Darstellung
der Sachlege ersehen, die ich ebenfalls als streng vertraulich zu behandeln bitte.
Wir haben hier drei ordentliche Professuren der Physik. Zwei davon sind mit
grösseren Instituten verbunden (I. phys. Inst. Ernst Lecher, II. Franz Exner). Die
dritte Lehrkanzel (für theoretische Physik; Gustav Jäger) ist nicht mit einem Labo-
ratorium
verbunden.[5]
Prof. Ehrenhaft arbeitet im I. phys. Institut. Sein Verhältnis
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