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Ich bin nun wieder als Gast im hiesigen Institut mit d[er]selben Forschungsar-
beit tätig, die ich bei meinem Eintritt hier im Herbst 1913 in Angriff nahm, der
Polarisation der Röntgenstrahlen. Herr Geheimrat W. Wien unterstützt mich in ent-
gegenkommendster Weise mit allem, was ich brauche. Besonders aber schätze ich
die geistige Atmosphäre, die hier herrscht, hoch und halte sie für weit fruchtbarer
als etwa ein noch so schön eingerichtetes Institut, in dem es daran fehlt. Bei meinen
Arbeiten stört auch meine Schwerhörigkeit nur unbedeutend. Mein elektrischer
Hörapparat erfüllt für diesen Zweck seine Aufgabe recht gut.
Über die Resultate meiner bisherigen Arbeiten, die ich selbst während meiner
zeitweise außerordentlich anstrengenden Kriegstätigkeit meist in später Nachtar-
beit weiter verfolgt habe, ist zu bemerken, daß sie zunächst nur zur gründlichen Er-
forschung der Fehlerquellen bei der Röntgenspektroskopie führten, da ich gleich
1914 das Opfer von Kristallfehlern wurde.
Die bisher erschienenen Veröffentlichungen erlaube ich mir anbei zu überrei-
chen.[4]
Die schönsten Resultate, die mehr der Kristallforschung zugute kommen
sind z. T. im Druck, z. T. noch in Redaktion. Ich lege von der in einigen Wochen
erscheinenden vorläufigen
Mitteilung[5]
wenigstens die Tafeln bei.
Der Grundgedanke, der mich zur Untersuchung der Polarisation veranlaßte, ist
der, experimentelle Unterlagen zu bekommen für oder gegen die Bremsstrahlung-
theorie
Sommerfelds.[6]
Ich hege Zweifel, ob es erlaubt ist eine Bremswirkung zu
berechnen, ohne die Eigenschaften des bremsenden Körpers und damit den Mecha-
nismus der Bremsung zu kennen oder sich doch wenigsten ganz bestimmte Vorstel-
lungen über letzteren zu machen und habe Herrn Bohr sowie Herrn Geheimrat W.
Wien und Herrn Prof. v. Laue gegenüber dies auch unzweideutig ausgesprochen
bei gelegentlichen Gesprächen hier im Institut etwa im Jahre 1914. Da damals noch
keine experimentellen Widersprüch bekannt waren, wie z. B. die Arbeit D. L. Web-
sters (Phys. Rev. 7, S. 599.
1916),[7]
so konnte ich nicht überzeugen.
Ich möchte meinen prinzipiellen Gedankengang hier kurz skizzieren. Das Ka-
thodenelektron hat auf seinem freien Fluge keine Röntgenfrequenz, weil es nir-
gends elektromagnetisch „aufgehängt“ ist. Dieses Wort entnehme ich dem Bilde
des Pendels. Erst wenn es in das Atom eindringt, bekommt es dort eine elastische
Aufhängung oder elastische Hemmung von einer Schwingungsdauer, die während
des Fluges je nach der Nähe und der Konstellation den Atomelektronen gegenüber
schnell wechselt, Der Begriff Kopplung für dieses elastische Auffangen versagt, da
es sich ja nicht um zwei schwingungsfähige Systeme handelt, die aufeinander ein-
wirken, sondern um ein an sich nicht schwingungsfähiges und ein System von Fel-
dern bzw. Feldträgern, die durch die Art ihrer Vereinigung bereits eine elastische
Aufhängung bestimmter Frequenzen besitzen. Die Art der Aufhängung und damit
die Frequenz des Kathodenelektrons kann erst im Wirkungsbereich des Atoms
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