56 DOCUMENT 34 MAY 1897 versöhnend, stärkend & doch unerbittlich streng durch alle Wirren dieses Lebens führen werden. Wenn ich nur dem guten Kind auch etwas davon geben könnte! Und doch, welch seltsame Art ist das, um die Stürme des Lebens zu ertragen-in mancher klaren Stunde komme ich mir vor wie der Vogel Strauß, welcher seinen Kopf in den Wüstensand steckt, um die Gefahr nicht zu sehen. Man schafft sich da selbst so ein Weltchen, wie kläglich unbedeutend es auch immer sei gegen die ewig wechselnde Größe des wahren Seins, und fühlt sich noch wunder wie groß & wichtig dabei, wie etwa der Maulwurf in seinem selbstgegrabnen Loch.-Doch wozu sich selbst herun- tersetzen, das besorgen schon andere wenns not thut, drum genug davon. Ihr liebes Briefchen, die Maiglöckchen, die Gedichtchen, alles hat mich innig gefreut wie alles, was von Ihrem lieben Häuschen kommt. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür. Bei mir gibts gar wenig Interessantes in meinem äußern Leben, so philiströs, daß die Leute ihre Uhr nach mir richten könnten-nur würden in der Frühe dann ihre Uhren etwas nachgehen. Geistig gibt es immer gar viel Abwechslung. Samstag abends musiziere ich bei einer hiesigen Dame[3] mit noch einigen Herrn, darunter Byland [4] es sind die schön- sten Stunden der Woche. Byland las mir einige Stücke von Gerhart Haupt- mann vor, die mich riesig entflammt haben. Bei "Hanneles Himmelfahrt"[5] hab ich weinen müssen wie ein Kind, halb selig, halb im Schmerz. Dies Kleinod müssen Sie auch lesen ich kann nichts mehr davon sagen-wenn man dran denkt muß man schweigen. Seien Sie, sowie die lieben Ihren tausendmal gegrüßt von Ihrem Albert. ALS (Sz, Wint. Korr. 99). [1] Dated by the reference to Whitsunday, which was 6 June. [2] Marie Winteler. [3] This may be a reference to Selina Cap- rotti (1850-1907), in whose home Einstein met Michele Besso (see Einstein to Michele Besso, 6 March 1952, and Michele Besso to Edgar Luscher, 23 September 1943, a copy of which is in the editorial files). [4] Hans Byland, Einstein's fellow pupil at the Aargau Kantonsschule, was also studying in Zurich. He often accompanied Einstein on the piano (see Byland 1928). [5] Hauptmann 1894.