DOCUMENT 35 JUNE 1897 57 35. To Pauline Winteler Zürich Montag. [7 June 1897] Liebes Mamerl! Ihr herziges Geschenk bringt mir eine willkommene Ausrede, Ihnen schon wieder zu schreiben, die feiertägliche Stille,[1] die behagliche Beschaulichkeit, um so recht mit Ihnen zu schwatzen, wie wenn wir zusammen in der roten Stube säßen, die Kartoffeln vor Eifersucht braun würden, die liebe Sonne & sonst noch was Liebes zum Zimmer hereinguckten. Wenn ich an dieses Zimmer danke, dann klingt mirs so allerliebst toll im Kopf herum & tausend Erinnerungen, alte & junge, lustige & traurige umarmen sich kindlich wie wenn sie zusammen gehörten. So manche alte philosophische Deduktion im langen Schlafrock mit ungeflickten Löchern schreitet da gravitätisch in der Luft herum & nebendran kichert manch reizendes unvernünftig süßes Wörtchen mit kleinen Flüglein & roten Wangen-& gottlob sie sind in weit größrer Zahl vorhanden & packen mich jetzt noch manchmal lieblich höhnend bei der Nase, wenn ich stirnerunzelnd in meiner Bude der goldnen Gelahrsam- keit pflege. Und nachher ist mirs dann so dumm, so merkwürdig zwischen Lachen & Weinen-& schließlich tönt mir das liebe Klavier nach der Seele ruhig oder verrückt, wie es eben gerade gelaunt ist, & im letztern Falle denk ich dann noch lieblicher Stunden & des kleinen roten Schemelchens & was da noch so drum und dran hängt. Die Pfingstfeiertage & -nächte verbringe ich mit musikalischen Genüssen, die mir Gott durch einen jener Engel sendet, welche nicht mit dem gefährlichen zweischneidigen Schwert sensiblen Herzen gefahrlich werden. Es ist eine Dame,[2] welche bereits Großmama ist, & sich doch, trotz vieler durchlebter Schicksalsschläge, ihre Seele jung & frisch erhalten hat & wundervoll groß & doch ächt weiblich ist in ihrer Auffassung. Kurz, ich habe glücklicherweise keine Zeit, mich mit dem süßen Gedanken zu quälen, wie es jetzt wäre, wenn ... & wenn nicht .... u.s.w. Sie Wissen ja wie man das zu machen pflegt. Ich konnte leider Byland nicht von den Rosen geben, da er schon nach Lenzburg gegangen war, der Glückliche.[3] Er wird Sie wohl besuchen, ich hab in drum gebeten. Das bietet mir einen Schatten von Ersatz, ohne daß ich recht begreifen könnte warum. Es ist mir, wie wenn ein Stück von mir dortgewesen wäre-ich weiß seine Augen sehen in vielen Dingen so ähnlich. S'ist doch komisch-als ob diese Augen eine Mission zu erfüllen hätten–