232 DOCUMENT 56 SEPTEMBER 1899 56. To Pauline Winteler [Mettmenstetten] Montag [11 September 1899][1] Liebes Mamerl! Da jetzt alles außer mir für unsrige morgige Abreise mit Packen beschäftigt ist, hab ich nun grade ein Stündchen, das wie geschaffen ist, Ihnen nochmals ein Briefchen zu schreiben. Meinen herzlichsten Dank für alle Liebe, die Sie mir wie immer entgegengebracht haben trotz des schweren Kummers, der durch mich schon über Sie gekommen ist. Wenn nur das bewußte Briefchen ein wenig Gutes gestiftet hat! Hier traf ich alles in bester Ordnung. Ich kriegte statt einer Strafpredigt nur ein paar mütterliche Blicke, die wohl dafür gelten konnten. Doch ist jetzt wieder alles vergessen, da ich mich an die doch schließlich kindlichen Schrullen von Tante gewöhnt habe,[2] die eigentlich nur die Folge von großer Verzogenheit sind. Man muß solche Leutchen nur ein bischen traktieren, dann kann man doch thun, wie man will & macht ihnen kein Kopfweh. Mit Professor Hab[3] hab ich mich sehr gut unterhalten & das von Ihnen angeregte Thema sehr lebhaft erörtert. Er hat in rühmenswertester Bescheidenheit sich zum Vergleich herangezogen & dann viel von Perlen gesprochen, die vor die Säue geworfen wurden & so den Weg zur Vergessenheit fanden. Er spach von einer zu hoffenden Änderung aber auch von deren Schwierigkeiten. Sagen Sie aber ihm[4] nichts davon, er würde es sehr peinlich empfinden, daß sich so ein junger, unerfahrener Mensch in seine innern Angelegenheiten mische. Ich hätte in der That völlige Passivität beim Gespräch bewahrt, wenn mir nicht sein liebenswürdiges Wesen den Mund geöffnet hätte. Bitten Sie auch Herrn Prof. Herrn Wüst freundlichst von mir zu grüßen [5] ich glaube es vergessen zu haben. Tante hat außer dem von Frl. Julia empfohlenen Fräulein noch eine Züricherin desselben Namens in Aussicht.[6] Beide heißen Martha Müller. Die Züricherin ist eine Bekannte von Frau Markwalder & wird heut Nachmittag hier eintreffen. Ich werde jedenfalls dafür sorgen, daß das Zofinger Fräulein heute noch eine Antwort geschrieben kriegt, damit ihr die Hände nicht gebunden sind. Vor lauter Thatbestände ist mein Brieferl recht trocken geworden, hoffentlich kann ich von Mailand aus ein besseres nachfolgen lassen, das dann für Sie bestimmt ist.