250 DOCUMENT 69 AUGUST 1900 erzeugte Frohgefühl alle Zuversicht. Ich meine schon, daß ich Dich einen ganzen Monat nicht habe puzerlinen können und sehne mich tüchtig nach Dir. So ein geschicktes rühriges Ding sieht man im ganzen Ameisenhaufen des Hotels[4] nicht als wie mein Doxerl mit seinen geschickten Händen. Die Schwiegermama hat sich schon soziemlich mit mir ausgesöhnt & schickt sich allmählich ins Unvermeidliche. Schon hat sie die muntere Laune wieder- gefunden. Papa hab ich auch geschrieben er hat mir einen Separatbrief angekündigt er wird sich jedenfalls auch anfangs sträuben, doch ist das alles nicht von Belang. Ich sehne mich furchtbar nach einem Brief von meiner geliebten Hex. Ich kann es kaum fassen, daß wir noch so lange getrennt sind-jetzt sehe ich erst, wie furchtbar lieb ich Dich habe! Laß Dirs ja recht gut gehen, damit Du mir ein blühendes Schätzchen wirst und toll wie ein Gassenbub. Melchthal ist ein wundervolles Flußthälchen, von hohen, doch nicht mit Gletschern bedeckten Bergen gebildet. Speziell unser Hotel ist eine vorzügliche Fütterungsanstalt doch fühle ich mich nicht wohl in dieser Faulenzerei unter diesen verweichlichten Menschen. Besonders wenn ich die aufgeputzten faulen Frauen sehe, denen immer was nicht recht ist, dann denke ich mit Stolz: Johonnesl, Deins Doxerl ist doch eine andere Maid. Der Brandenberger ist auch hier sammt Braut, einer jungen Züricherin, die mir sehr gut gefällt.[5] Beide schwimmen sichtlich in Glückseligkeit-ein sehr nettes Pärchen. Gestern war ich mit Maya auf einem ziemlich hohen Berg, wo wir viele Edelweiß fanden. Wir hatten eine herrliche Aussicht, besonders auf die gewaltigen Firnfelder des Titlis.[6] Gegen Mitte August gehen wir zu Papa nach Italien, um uns noch an einem südlicheren Orte aufzuhalten. Ich gehe vorher noch nach Zürich, um wegen meiner Stelle nachzusehen. Von Ehrat hab ich auch noch keine Nachricht.[7] Da es viel regnet, habe ich schon viel studiert, hauptsächlich die berüchtigten Untersuchungen über die Bewegung des starren Körpers von Kirchhoff.[8] [4] Probably the Kurhaus Melchthal, the largest hotel in the village. [5] Konrad Brandenberger (1873-1919) was a student in natural sciences at the Univer- sity of Zurich (see Matrikelbuch, no. 10203, SzZSa, UU 24a 5). He married Anna Ram- sauer (1881-1970) in 1901 (see Einwohner- kontrolle, SzZ-Ar). [6] A peak (3,239 m) on the border between the cantons of Uri and Bern. [7] Ehrat had been recommended for a position at the ETH as Professor Rudio's Assistent (see Doc. 77, note 1). He also was a candidate for a position at the Thurgau Kantonsschule in Frauenfeld. Another candi- date was Karl Matter (1874-1957), one of Professor Hurwitz's Assistenten (see Gut- achten über ... Probelectionen, 18 August 1900, SzFSa, Aufsichtskommissionsakten der Kantonsschule Frauenfeld 1900-1904 and ETH Programm 1899b, p. 23). Einstein hoped to secure a position as Assistent at the ETH should either of these candidates be successful. [8] Kirchhoff 1897, chaps. 5-7.