282 DOCUMENT 94 MARCH 1901 Ich bin überzeugt, daß es unter diesen Umständen keinen Sinn hätte, noch- mals an Professoren zu schreiben, da es sicher ist, daß sie sich alle bei Weber erkundigen würden, wenn es weit genug wäre, und dieser wieder eine schlechte Auskunft gäbe. Ich werde mich an meine früheren Lehrer in Aarau und München wenden,[4] hauptsächlich aber einen Versuch machen, in Italien eine Assistentenstelle zu bekommen. Erstens fallt nämlich hier eine Hauptschwie- rigkeit weg, nämlich der Antisemitismus, weg, der mir in deutschen Ländern ebenso unangenehm als hinderlich wäre,[5] zweitens habe ich hier ziemlich Protektion. Herr Ansbacher[6] ist nämlich intimer Freund mit dem Professor der Chemie am hiesigen Polytechnikum,[7] ferner ist Micheles Onkel Professor der Mathematik.[8] Michele ist zwar ein arger Schlemihl, aber ich packe ihn beim Kragen und schleife ihn zu seinem Onkel mit & übernehme dann selbst das Wort. Gegenwärtig weilt Michele mit Weib und Kind in Triest bei seinen Eltern und kommt erst wieder in ca 10 Tagen. Du brauchst keine Angst haben, daß ich ihm oder sonst jemand ein Wort von Dir sage. Du bist und bleibst mir ein Heiligtum in das niemand dringen darf auch weiß ich, daß Du mich von allen am innigsten liebst und am besten verstehst. Auch versichere ich Dir, daß es hier niemand wagt noch wollte, was Schlimmes über Dich zu sagen. Wie glücklich und stolz werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über die Relativbewegung siegreich zu Ende geführt haben! Wenn ich so andre Leute sehe, da kommt mirs so recht, was an Dir ist! Vorgestern Abend war Micheles Direktor,[9] mit dem wir ziemlich bekannt sind, bei uns zum Musizieren. Er erzählte, wie vollkommen unbrauchbar und fast unzurechnungsfähig Michele sei trotz seiner so außerordentlich ausgedehnten Kenntnisse. Am ergötzlichsten ist folgendes Geschichtchen, dessen Wahrheit wohl verbürgt werden kann, da der betreffende von meiner Freundschaft mit Michele unterrichtet ist & fürchten muß, daß ihm die Sache wieder zu Ohren kommt ... Hatte der Michele einst wieder einmal nichts zu [4] Jost Winteler, who taught at the Aar- gau Kantonsschule but was never Einstein's teacher, was later asked to write recommen- dations for Einstein (see Docs. 115, 121). As re- gards his former teachers in Munich, Einstein is perhaps referring to Ferdinand Ruess or Joseph Zametzer (see Doc. 76, note 5). [5] For a discussion of anti-Semitism in physics departments of German universities, see Jungnickel and McCormmach 1986, pp. 286-287. [6] Bernardo Ansbacher (1845-1914). The Ansbachers were close friends of the Einsteins in Milan. [7] There were four professors of chemistry at the Istituto Tecnico Superiore di Milano: Pietro Corbetta, Luigi Gabba, Guglielmo Koerner, and Angelo Menozzi (see Pro- gramma 1901, pp. 20-21). [8] Besso's uncle, Giuseppe Jung (1845- 1926). [9] Giovanni Barberis, Director of the Soci- ety for the Development of Electrical Enter- prises in Italy (see Savallo 1902, p. 659).
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