306 DOCUMENT 112 JUNE 1901 112. To Mileva Maric Dienstag. [Winterthur, 4? June 1901][1] Liebes Doxerl! Was meinst, was vor mir auf dem Tisch liegt? Ein langer Brief an Drude mit zwei Einwänden gegen seine Elektronentheorie.[2] Er wird mir wohl kaum was vernünftiges einzuwenden haben, da die Sachen sehr einfach liegen. Ich bin furchtbar neugierig, ob und was er antwortet. Natürlich hab ich ihm auch zu verstehen gegeben, daß ich stellenlos bin, das versteht sich. Ich hab Dir ja schon erzählt, um was es sich handelt. Von meiner Schwester hatte ich eine Karte. Sie besucht mich nicht. Denk Dir einmal, Wintelers haben bei Wohl- wends über mich geschimpft[3] & gesagt, daß ich in Zürich ein lüderliches Leben geführt hätte ..-Es geht halt nichts über das "ewig Weibliche". Auch Byland habe sich nicht ganz sauber benommen.[4] Auf ihn paßt schon viel eher das Wort, das ein guter deutscher Feldwebel in der Instruktionsstunde über Napoleon I. losließ. Er war ein seelenjüter Mensch ..... aber dumm, dumm, arg dumm. Wie gehts denn Dir liebes Schätzchen? Laß bald was von Dir hören! Weißt Du noch, wie ungeschickt ich war das letzte Mal? Davon hab ich dem guten Drude aber nichts geschrieben, glaubst Dus? Wie gehts Dir denn immer mit dem Studium[5] und mit dem Kinderl[6] und mit demr Kinderl Laune? Hoffentlich gehts allen dreien gut, wie sichs gehört. Sei mir besonders gebus- selt, damit es an der letzteren nie fehle. Was die Gegenwart zu wünschen übrig läßt, wird schon die Zukunft bringen, aber gründlich. Wenn mir der Michele nicht bald schreibt, dann schreib ich noch einmal an ihn, damit er um eine Stelle für mich fragt beim gestrengen Herrn Papa.[7] Wenns einem eben nicht glänzend geht, dann lassen einen die guten Freunde gern sitzen. So ist halt der Welt Lauf. Dein Jackerl ist wirklich bei mir. Das nächste Mal werd ichs mitbringen. Gestern hab ich wieder bei dem älteren Fräulein musiziert.[8] Es war ganz prachtvoll. Wenn Du da nur auch dabei sein könntest! Du solltest so not- wendig ein bisserl angenehme Abwechslung haben. Heut Abend hab ich noch eine Privatstunde in Algebra zu geben. Ich freu mich schon sehr auf nächsten Sonntag. Wenn wir nur auch einmal ohne Sorge und lustig beisammen sein könnten, ohne daß irgend ein Druck