DOCUMENT 128 DECEMBER 1901 325 aber nicht mehr so wichtig, obwohl es mich auch jetzt noch sehr freuen würde. Sei vergnügt, mein liebes, treues Schätzchen, grüße Deine Alten herzlich von mir und sei Du innig ans Herz gedrückt von Deinem Johonzel. 128. To Mileva Maric Schaffhausen Dienstag. [17 December 1901][1] Mein liebes Schatzerl Es ist eigentlich ein urkomisches Leben, das ich hier führe, ganz im Sinne Schopenhauers.[2] Außer mit meinem Schüler[3] spreche ich nämlich den ganzen Tag mit niemand. Sogar Herrn Baumers Gesellschaft erscheint mir langweilig und abgeschmackt.[4] Ich finde immer, daß ich allein in der besten Gesellschaft bin, außer wenn ich mit Dir zusammen bin. Du aber fehlst mir sehr ich finde jeder rechte Kerl muß ein Mädel haben. Ich möcht' Dich so gern bei mir haben, wenn Du auch eine recht "gspaßige Gstalt" hast, wie Du mir nun schon zweimal geschrieben hast. Mach mir doch einmal eine Zeichnung davon, eine recht schöne! Wenn Du mir ein Kisserl machst, würd es mich sehr freuen. Dann mußt Du aber auch die Seele dazu machen (des Kisserl halber), denn ich habe keine Ahnung, wo die meinigen logieren. Du weißt ja, was für eine schauerliche Schlamperei unter meinen irdischen Gütern herrscht-es ist ein wahres Glück, daß ich nicht viel habe. Mein neues Essen im Wirtshaus[5] behagt mir ganz gut, jedenfalls ist es ein enormer Fortschritt, der es mir gar nicht mehr wünschenswert erscheinen läßt, nach Bern überzusiedeln, ich meine mit meinem Schüler.[6] Die Leute, mit denen ich esse, sind mir aber zu blöde und gewöhnlich. Daher sitze ich beim Essen da wie ein Nußknacker & spiele zwischen den Gängen des Essens mit Messer und Gabel, wobei ich zum Fenster hinaussehe. Die Kerle müssen von mir glauben, daß ich nie im Leben gelacht habe sie haben mich aber noch nie mit meinem Doxerl gesehen. Ich arbeite eifrigst an einer Elektrodynamik bewegter Körper, welches eine kapitale Abhandlung zu werden verspricht. Ich habe Dir geschrieben, daß ich an der Richtigkeit der Ideen über die Relativbewegung zweifelte. Meine Bedenken beruhten jedoch lediglich auf einem simplen Rechenfehler. Ich