332 DOCUMENT 134 FEBRUARY 1902 134. To Mileva Maric Bern Dienstag. [4 February 1902][1] Mein geliebtes Schätzchen! Armes, liebes Schatzerl, was mußt Du alles leiden, daß Du mir nicht einmal mehr selbst schreiben kannst! Und auch unser liebes Lieserl muß die Welt gleich von dieser Seite kennen lernen![2] Wenn Du nur wieder frisch und munter bist, bis mein Brieferl eintrifft. Ich bin vor Schreck fast umgefallen, wo ich Deines Vaters[3] Brief erhielt, denn es ahnte mir schon was Schlimmes. Gegen so was sind alle äußeren Schicksale gar nichts. Sofort wollt ich 2 Jahre noch beim alten N[üesch] Hauslehrer sein,[4] wenn Dich das gesund und glücklich machen könnte. Aber siehst, es ist wirklich ein Lieserl geworden, wie Du es wünschtest. Ist es auch gesund und schreit es schon gehörig? Was hat es denn für Augerl? Wem von uns sieht es mehr ähnlich? Wer gibt ihm denn das Milcherl? Hat es auch Hunger? Gellst und ein vollständiges Glat- zerl hats. Ich hab es so lieb & kenns doch noch gar nicht! Könnt man es denn nicht photografieren, bis Du wieder ganz gesund bist? Kann es schon bald seine Augen nach etwas hinwenden? Jetzt kannst Beobachtungen machen. Ich möcht auch einmal selber ein Lieserl machen, es muß doch zu interessant sein! Es kann gewiß schon weinen, aber lachen lernt es erst viel später. Darin liegt eine tiefe Wahrheit. Wenn Du mir wieder ein bisserl zweg bist, dann mußt es zeichnen! Hier in Bern ist es reizend. Eine altertümliche, urgemütliche Stadt, in der man genau ebenso leben kann wie in Zürich. Auf beiden Seiten der Straßen ziehen sich ganz alte Arkadengänge hin, so daß man beim ärgsten Regen von einem Ende der Stadt zum andern gehen kann, ohne merklich naß zu werden. In den Häusern ist es ungemein sauber, ich sah das allenthalben, als ich gestern mein Zimmer suchte. Es thut mir ungemein wohl, daß ich aus der unsympathischen Umgebung glücklich entronnen bin. Ich habe schon dafür gesorgt, daß ich im hiesigen Anzeigerblatt[5] ausgeschrieben werde. Hoffentlich nützt es etwas. Wenn ich nur 2 Stunden pro Tag bekäme, könnte ich noch was für Dich ersparen. Ich hab ein großes schönes Zimmer mit einem sehr bequemen Sofa. Es kostet nur 23 fr. Das ist doch nicht viel. Dazu 6 gepol- sterte Stühle und 3 Schränke. Man könnte eine Versammlung darin abhalten. Es folgt der Plan davon.