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Vol. 8, 370a. To Heinrich Zangger
Luzern. Mittwoch. [8 August
1917][1]
Lieber Freund Zangger!
Heute erhielt ich Ihre Anfrage. Samstag bis Montag hatte ich einen ziemlich hef-
tigen Anfall. Erst Unbehagen mit wenig lokalisiertem Gefühl von zuviel Volumen
dann allmählich sich sich steigernder schmerzhafter Druck, auch schwer lokalisier-
bar, aber doch ungefähr in der von Ihnen festgestellten Gegend, verbunden mit
saurem Aufstossen. Dann ziemlich rasche, aber doch sicher nicht plötzliche Besse-
rung. Jetzt sicher nicht mehr Druckempfindlichkeit als vor der Affäre. Stuhl regel-
mässig. Fieber keines. Stimmung stets gut, Kopf klar. Als Ursache empfinde ich
ziemlich sicher eine grössere Menge ziemlich sauern Apfelkompots, die ich etwa
Freitag und Samstag zu mir genommen
habe.[2]
Wer weiss, ob Nicolai nicht doch Recht hatte, der die Magensäure als die pri-
märe Ursache
ansah?[3]
Es ist doch möglich, dass diese die Schweinerei bewirkt,
wenn mehr davon in den Darm kommt als dieser zu neutralisieren vermag. Halten
Sie dies für ausgeschlossen?
Michele war gerade während jener Tage
da.[4]
Wir waren sehr vergnügt zusam-
men. Der Umstand, dass es meist regnete, und dass ich Sonntag nicht aus dem Bett
konnte, änderte daran nichts. Er ist ein eminent feiner und wohlwollender Mensch,
der glücklich wäre, wenn er imstande wäre, seine beschauliche, wenig aktive Ver-
anlagung als eine Art Geschenk der Natur zu betrachten, statt sich Vorwürfe daraus
zu konstruieren, und wenn er nicht von seiner Frau geplagt
würde.[5]
Diese ist eine
von Haus aus gute Person, die aber durch ein Übermass von Güte und Rücksicht,
vielleicht auch Schwäche, von seiner Seite das Gleichgewicht völlig verloren hat.
Sie sollte mindestens eine Zeit lang von ihm getrennt werden, damit sie sich abge-
wöhnt, ihn als die Ursache ihrer übeln Launen und das Nicht-Erfülltseins ihrer un-
klaren Wünsche zu betrachten.—
Der geplante Besuch bei meiner Frau liegt mir ziemlich im Magen. Ich habe gar
zu wenig Vertrauen in ihre Anständigkeit und
Ehrlichkeit.[6]
Bei längerem Zusam-
mensein mit Albert merkte ich wieder so recht, mit wieviel Übelwollen und Man-
gel an Achtung sie von mir reden
muss.[7]
Es war, wie wenn der günstige, aber we-
niger tief eingegrabene Einfluss, den Sie in dieser Beziehung auf den Jungen
gehabt haben, allmählich gegenüber den früheren Einflüssen von grösserer Mas-
senwirkung in den Hintergrund getreten
wäre.[8]
Ich weiss, dass ich dies als eine
natürliche Konsequenz der nun einmal obwaltenden Verhältnisse hinzunehmen ha-
be, empfinde aber eine tiefe Abneigung dagegen, die Kontaktfläche über das unbe-
dingt Nötige hinaus zu vergrössern, zumal dies für die Frau auch kaum von Nutzen
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