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Das war eine tragikomische Odyssee, u. ich will sie Dir in extenso mitteilen, damit
Du etwas zu schmunzeln hast. Gleich bei unserer Ankunft telefonierten wir an
Zangger u. bekamen den Bescheid, daß er erst am Abend heimkomme, er sei ver-
reist. Bei den jetzigen schauerlichen Verbindungen geht der letzte Zug von Zürich
nach Luzern um 6 Uhr Abends, wir schauten uns also mit sehr verblüfften langen
Gesichtern an u. entwarfen einen Kriegsplan für die veränderten Verhältnisse. Pauli
sollte nach Luzern zurück, u. ich wollte bei Anna
übernachten,[5]
um mich sowohl
zu orientieren als auch wenn möglich am nächsten Tage Zangger zu spechen, auch
zu Miza zu gehen etc.
etc.[6]
Ich hatte noch einen Besuch zu machen u. Pauli ging
zuerst zu Anna, um Nachtquartier für mich zu schaffen. Er wollte gar nicht mit ihr
von unserer Mißion sprechen, da man ja, wie Du weißt, zwar sie reden laßen, aber
nicht mit ihr [r]eden kann. Sie aber ahnte den Zwek unseres Kommens u. als Pauli
ihre Vermutungen bestätigte, ergoß sich sofort ein solcher Schwall von Anschuldi-
gungen, Schimpfereien u. Drohungen aus dem Munde dieser beleidigten Gerech-
tigkeit, die in ihrer Blindheit nie daneben hauen kann (oder immer muß?), daß Pauli
um sich zu retten den Hut nahm u. sich davon machte. Ich kam gerade zur Haustüre
herein, als er halb die Treppe herunter war u. hörte Annas aufgeregte Stimme, die
ihm von oben noch alle möglichen liebenswürdige[n] Belehrungen gab. Paul wollte
mich mit auf die Straße schleppen, aber Anna warf sich nun auf die neue Beute, die
natürlich von dem Vorhergehenden keine Ahnung hatte u. [s]ehr verduzt bald auf
die schreiende Schwägerin, bald auf den wütenden Ehemann blickte. Pauli zog
mich schließlich doch fort, u. da standen wir denn auf der Straße. Nun erzählte mir
Pauli mit geflügelten Worten das Vorgefallene, worauf ich beschloß, nun doch et-
was Tatasächliches zu erfahren, mich noch einmal in die Höhle des Löwen zu be-
geben. Auch wollte ich keinen erneuten Familienzwist. Sofort als ich hinaufkam
ging’s nun von neuem über mich her mit den ungereimtesten Anschuldigungen,
während ich schweigend dasaß. Als sie etwa während einer Vi[er]telstunde ganz
durcheinander Dich,
Elsa,[7]
mich beschuldigt, Zangger (den ich doch gar nicht an-
gegriffen hatte) heldenhaft verteidigte u. mit ihrer Person gedeckt hatte, sich als die
verkörperte Gerechtigkeit gefühlt hatte, schieden wir in
Frieden.[8]
Dann schrieb
ich noch an Zangger um ein Rendez-vous u. wir dampften zusammen wieder zu-
rück an unsere friedlichen heimatlichen
Pennaten,[9]
Du kannst auch sagen: Dai
miei amici mi guardi Iddio, chè dai nemici mi guarderò
io.[10]
Es ist doch merkwür-
dig wie wir alle zugleich Wild u. Jäger sind. Oder glaubt sich jeder nur verfolgt?
Ich komme noch nicht recht draus. Also harren wir der Dinge, die da kommen sol-
len. Wärest Du damit einverstanden, daß Albertli zu Azzolini
kommt,[11]
falls es
ganz unmöglich wäre, ihn hierher zu entführen? Ich habe gestern mit ihr darüber
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