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ALS. Bohr 1976, pp. 634–635. [8 069].
[1]Einstein was to lecture on gravitation and geometry to the Danish Astronomical Society on
25 June (see Envoy Baron von Neurath, Deutsche Gesandtschaft [Kopenhagen], to Auswärtiges Amt,
26 June 1920 [GyBPAAA, R 64673]).
[2]Bohr visited Berlin for a talk that he gave on 27 April 1920 to the German Physical Society (see
Doc. 4, note 3).
[3]Apparently on the way back from Fritz Haber’s villa in Dahlem. Presumably, this was the same
occasion that younger physicists had arranged for a “bigwig-free colloquium” (“bonzenfreie[s] Kol-
loquium”) with Bohr, after which lunch was served with Haber and Einstein present (see Meitner
1964, p. 7). For an account of this colloquium, see also Moore 1985, p. 106.
[4]Margrethe Bohr-Norlund (1889–1984) gave birth to Erik Bohr the day before.
65. To Hans Thirring, Adolf Smekal, and
Ludwig Flamm
Kopenhagen. 25. VI. 20.
Meine lieben Freunde & Kollegen!
Zuerst möchte ich Euch sagen, dass ich keineswegs aus eigener Initiative in der
heiklen Ehrenhaft-Frage das Wort ergriffen habe, sondern durch mehrere Anfragen
zur Stellungnahme veranlasst worden
bin.[1]
Es handelte sich um die Frage, ob Eh-
renhaft die Möglichkeit zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit erhalten bezw.
behalten soll. Da konnte es für mich keinen Zweifel geben; denn E. ist fleissig und
unternehmend und hat zweifellos die Entwicklung gefördert.
Nun scheint es mir nach Euerm Briefe, dass die Fakultät eine recht glückliche
Lösung gefunden hat, indem sie E. ein selbstständiges Arbeitsfeld gegeben hat,
ohne die Gefahr eines allzu grossen Einflusses seiner Persönlichkeit und Richtung
heraufzubeschwören. An der Unrichtigkeit der E’schen Interpretationen seiner ei-
genen Versuche habe ich nie gezweifelt und glaube auch, dass sein Starrsinn—
wenn er nicht durch andere Einflüsse kompensiert wird—dem Institut zum Nach-
teil gereichen kann; hierin stimme ich Euch bei. Sie, Herr Smekal wissen ja, dass
ich über Herrn Ehrenhafts theoretische Einstellung stets so gedacht habe, wie ich
hier
andeutete.[2]
Besonders schlimm wäre es, wenn die Wiener theoretischen Physiker in ihren
Möglichkeiten eingeengt
würden.[3]
Es dürfte unter den Eingeweihten kein Zweifel
darüber bestehen, dass in Wien heute das Gewicht der theoretischen Physik dasje-
nige der Experimentalphysik übertrifft. Die Pflege der ausgezeichneten Traditio-
nen der Wiener theoretischen Physik darf unter keinen Umständen vernachlässigt
werden.[4]
Es scheint mir Euer gutes Recht und sogar Eure Pflicht zu sein, hierauf
nachdrücklich zu bestehen. Was ich andererseits in der ersten Phase der Ehrenhaft-
Angelegenheit gefürchtet hatte, war umgekehrt, die Pflege des Experiments könnte
gar zu sehr in den Hintergrund kommen, wenn kein ächter, temperamentvoller Ex-
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