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bewusst und auch so Mancherlei aus der traditionellen Physik weiter beibehalten,
was bei konsequentem Zuendedenken Ihrer Auffassung nicht nur zweifelhaft, son-
dern geradezu sinnlos wird. Darin scheint mir auch der Grund zu liegen, warum
Ihre Theorie trotz der [----]ung des von Ihnen dargelegten, vielfach auf so starken
Widerstand stösst. Sie haben nicht genug vom Alten weggeräumt und dieses er-
schwert nun den Zugang zum Neuen, lässt das als grundstürzend erscheinen, was
in Wirklichkeit grundlegend ist. Man wird nicht länger die Logik gegen Sie
auss[p]ielen können, wenn Sie in noch höherem Maasse, als Sie es bisher gethan,
die aus der Erfahrung gewonnene Logik an der Stelle der daseinsfreien Logik set-
zen, die in der bisherigen Physik eine weitaus zu ausschlaggebende Rolle einneh-
men.— Es wäre mir ein Bedürfnis Ihnen im Einzelnen sachlich darzulegen, womit
ich diese Behauptung begründe. Aber es würde dies den Rahmen eines Briefes weit
übersteigen. Auch fürchte ich, damit Ihre Zeit zu sehr in Anspruch zu nehmen. Nur
soviel möchte ich schon jetzt gleich bemerken, dass meine Stellungnahme zur Re-
lavitätstheorie nicht etwa aus dem Versuch sie spekulativ auszuwerten erwuchs,
sondern auf Grund physikalisch-erkenntnis[kritischer] Analogien, wie ich sie in
ähnlicher Weise vor 14 Jahren dem Richtungsproblem gegenüber anwandte. (Sie
haben den diesbezüglichen Aufsatz vielleicht in meinem Buche: „Grundfragen des
Menschenschicksals“
bemerkt,[3]
dass ich mir Ihnen im vergangenen Juni zu über-
senden erlaubte.) Aus den hiesigen Zeitungen entnehme ich mit grosser Freude,
dass Sie für Anfang des kommenden Jahres einen Besuch in Wien
plannen.[4]
Es
wäre mir eine besondere Freude, dürfte ich hoffen, dass Sie während Ihres hier-
seins, trotzdem Sie in dieser Zeit sicherlich der überlaufendste, von Verehrern „ein-
gekreisteste“ Mensch sein werden, eine freie halbe Stunde für mich erübrigen kön-
nen.— Und da [ic]h nun schon einmal beim Aussprechen von Wünschen bin,
möchte ich mir auch gestatten, Ihnen noch einen Wunsch vorzulegen. Ich habe
kürzlich bei Josef Popper-Lynkeus ein geradezu ausgezeichnetes Bild von Ihnen
gesehen.[5]
Ein gleiches zu besitzen, wäre mir eine hohe Freude. Vielleicht können
Sie meinen Wunsch erfüllen, wenn meine Bitte Ihnen nicht gar zu unbescheiden er-
scheint.
Wie sehr mich die Angriffe empörten, denen Sie ausgesetzt waren, brauche ich
Ihnen wohl nicht erst zu
sagen.[6]
Aber wann blieb je einem Genius das Spiessru-
tenlaufen erspart; besonders wenn er ein Jude war und den Mut hatte, sich trotz sei-
ner unanfechtbaren Bedeutung zum Internationalismus zu bekennen! Ich hoffe, Sie
haben Alles mit Ihrer wunderbar überlegenen Gleichmut, ohne gesundheitlich dar-
unter zu leiden, ertragen!— Und nun nehmen Sie nochmals meinen innigsten Dank
für Ihre so wertvolle Gabe entgegen.
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