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das Schreiben, wie überhaupt gegen jede Handlung, die einer besonderen Ent-
schliessung bedarf. So äussert sich bei mir Müdigkeit und Alter.
Das Leben hier gefällt mir sehr gut, ich muss es gestehen. Was man da an Tüch-
tigkeit und glühendem Interesse für Wissenschaft findet! Ich bin immer wieder be-
zaubert vom Kolloquium und der phys.
Gesellschaft.[3]
Und die Menschen, fragen
Sie? Die sind im Grunde überall die gleichen. In Zürich thun sie republikanisch
bieder, hier militärisch stramm und discipliniert, aber sie sind von denselben Trie-
ben regiert da und dort und nur wenige erheben sich über das roh Triebhafte, da wie
dort.
Ich lebe trotz Berlin in ziemlicher Einsamkeit. Aber ich habe hier etwas, was mir
das Leben wärmer gestaltet, nämlich eine Frau, der ich mich eng verbunden fühle,
nämlich eine etwa gleichalterige Cousine. Sie war ja auch für mich der Haupt-
grund, aus dem ich nach Berlin gegangen
bin.[4]
Das habe ich Ihnen gewiss damals
schon gesagt.
In der Akademie ist es wechselnd, manchmal langweilig, manchmal hochinter-
essant. Die Menschheit dort is höchst heterogen; jeder is ein Ding für sich. Alles
ist in Dunst zerstoben, was ich mir über die Berliner Menschheit vorher gedacht
hatte. Man denkt wohl, von politischen Gefühlen beeinflusst: eingebildete imperia-
listische Berliner, die die Welt fressen wollen, alles besser wissen etc. Es gibt sol-
che und andere wie überall. Nur bei den Dingen, die der Entwicklung zugänglich
sind, sieht man lokal-charakteristisches: Pflichttreue, Herdenhaftigkeit bis zum
Stumpfsinn, Autoritätsgefühl, Mangel an Geschmack, Achtung vor gewerteten
Leistungen.
Mein Arbeiten bewegt sich in ziemlich bescheidenem Rahmen. Ich schreibe ge-
rade über Quantentheorie und Nernsts Theorem. Für letzteres bleibt, wenn es auch
nicht allgemein gelten kann, noch sehr viel übrig. Der Mann hat ein Bombenglück;
er ist auf mich geladen, weil ich kein stummer Anbeter
bin.[5]
Die Gravitations-
theorie findet ebensoviel Hochachtung wie
Misstrauen.[6]
Lorentz hat ausführlich
darüber
gelesen.[7]
Die Sonnenfinsternis wird mit guten Waffen empfangen von
den Astronomen. Ich bin von der Richtigkeit meiner Theorie absolut überzeugt. Ich
habe hier noch nicht daran weiter gearbeitet; dafür habe ich mich aber körperlich
erholt, hauptsächlich durch die Sorgsamkeit meiner
Verwandten.[8]
Ich war be-
denklich abgerackert!
Ich bin glücklich darüber, dass Sie nun wieder Ihre Thätigkeit aufnehmen konn-
ten. Wenn ich kann, komme ich im Sommer zu Ihnen. So ein bischen Berlin, wie
ich es habe, thäte Ihnen auch gut, so ohne Pflichten und Sorgen! Ihre Andeutung
über Varicak habe ich nicht
verstanden.[9]
Er ist—soviel ich ihn beurteilen kann,
ein braver Kerl. Er hatte eine Art Verhältnis mit meiner Frau, was keinem der bei-
den zu verargen ist. Ich empfand dabei nur doppelt schmerzlich das Gefühl der Ver-
einsamung; umso dankbarer bin ich nun dem Schicksal dafür, dass mir nun doch
noch die Zuneigung einer braven Frau zuteil geworden ist.
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