22 DOCUMENT 18 APRIL 1896 nur zu kennen ich hab ihr nur zwei von Ihren herzigen Briefchen lesen lassen. Daneben lacht sie mich immer aus, weil mir die Mädeln nicht mehr gefallen wollen, von denen ich früher doch immer so entzückt gewesen sei! Sie sind meiner Seele mehr als früher die ganze Welt, das "kleine, unbedeutende, dumme Schatzerl, das nichts kann & nichts versteht". Ob Sie Angst haben mussen daB ........ (ich wiederhole es nicht mehr)? Wenn Sie gerade da wären wären würd ich Ihnen trotz aller Vernunft zur Strafe einen Kuß geben und Sie tüchtig auslachen, süßes Engelchen, wie Sie's verdienen! Und ob ich geduldig sein will? Was bleibt mir denn bei meinem geliebten, ungezognen Engelchen anderes übrig? Umsomehr, da ja die Engelchen immer schwach sind (aber ich wills gewiß nicht mehr sagen) & Sie doch mein liebes Engelchen sind & sein sollen. Wie anders ist es, mit seinem Liebchen, ein einfaches, süßes Liedchen zu spielen,[2] als mit ladstöckigen aufgeputzten Paveser Damen eine anerkannt schwere Sonate, wenn auch noch so "glücklich" zu über- stehen, wobei immer "möglichst schnell & dabei möglichst wenig Fehler" als ideales Ziel vorschwebt oder auch, "sich möglichst elegant aus der Situation zu ziehen. Die Seele der Stadt läßt sich ungefähr mathematisch darstellen 1) aus der Summe der Ladstöcke, welche die verschiedenen Herren & Damen verschluckt haben 2) aus dem Gemütseindruck, welchen die überall gleich- mäßigen dreckigen Mauern & Straßen auf den Beschauer machen. Das einzige Schöne sind die entzückenden, graziösen kleinen Kinder, die aber leider beim Anblick der erstgenannten abstoßenden Dinge infolge des An- passungsgesetzes auch gerade so abgeschmackt werden, wie ihre leuchtenden Vorbilder. Zum guten Glück bilden meine Eltern & mein Schwesterchen eine sehr liebe Ausnahme. Jetzt seien Sie nochmals aus tiefstem Herzen gegrüßt mein geliebtes Kind- chen & seien Sie glücklich bis auf den schönen Tag unseres Wiedersehens.[3] Ihr Albert. Innige Grüße an Mama & Manzis. Ohne diesen Brief gelesen zu haben, sende ich Ihnen herzl. Grüße! Pauline Einstein ALS (MBU, Special Collections). The en- velope is addressed "An Mama Winteler, Aarau Svizzera," and postmarked, "Pavia 21 4 -96 3 S." [1] The school year at the Kantonsschule ended on 8 April and Einstein was home for the holidays. [2] Marie WINTELER played the piano (in- formation provided by Heinz Müller, her son). Later reminiscences of this period record Einstein's predilection for Schubert and Schumann Lieder (see Niggli 1952, p. [3], and Byland 1928). [3] Classes at the Kantonsschule resumed on 29 April.
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