D O C U M E N T 5 2 J U N E 1 9 2 0 3 0 9
52. To Arthur S. Eddington
[Berlin,] 11. VI. 20.
Hoch geehrter Herr
Kollege![1]
Es ist mir ein unabwendbares Bedürfnis, mein Gewissen durch ein Briefchen an
Sie reinzuwaschen. Ich habe Sie ja in diesem Frühjahr nicht besucht, trotzdem ich
mich bei Ihnen avisiert
hatte.[2]
Aber einmal haben mich allzuviele äussere Ver-
pflichtungen abgehalten, die meine Zeit sehr beschränkten, andererseits hatte ich
das Gefühl, dass eine Reise nach England in dieser Zeit den englischen und deut-
schen Kollegen wie ein hässlicher Versuch einer captatio benevolentiae erscheinen
würde;[3]
das wollte ich vermeiden. Da muss selbst der international Fühlende sich
Beschränkungen auflegen, wenn er der guten Sache nicht schaden will.
Ich habe nun den ausführlichen Bericht Ihrer Expeditionen von Ihnen zugesen-
det
bekommen,[4]
für den ich bestens danke. Es war mir eine grosse Freude, die er-
folgreichen Untersuchungen der englischen Astronomen auf diesem Wege gewis-
sermassen nachträglich mit zu erleben. Die Frage der Linienverschiebung entwik-
kelt sich immer spannender. Nun kommt auch der persönlich mit mir befreundete
Kollege Julius in Utrecht unter sorgfältiger Heranziehung des ganzen Materials zu
dem Ergebnis, dass die Linienverschiebung Erde–Sonne nicht
existiere;[5]
ich
zweifle aber innerlich nicht daran, dass am Ende auch diese Konsequenz der Rela-
tivitätstheorie ihre Bestätigung finden wird. Vielleicht wird ein sorgfältiges ver-
gleichendes Studium der irdischen Lichtquellen die Klärung
bringen.—[6]
Ich habe
den Eindruck, dass die Julius’sche Theorie über die Entstehung von asymmetri-
schen Linienverbreiterungen durch Einflüsse der Dispersion in Verbindung mit ört-
lichen Dichte-Schwankungen in der Sonnen-Atmosphäre zu wenig gewürdigt wird
von den Astronomen; jedenfalls glaube ich, dass Julius manches natürlicher mit
seiner Theorie erklärt, als es auf Grund des Doppler’schen Prinzips zu geschehen
pflegt.[7]
Es grüsst Sie bestens Ihr ganz ergebener
A. Einstein.
ALS (UkCF). [73 839].
[1]The addressee’s name is inferred from the fact that an English translation of the letter is found
among Eddington’s papers at Queen’s University, Kingston, Ontario, Canada.
[2]Einstein had apparently promised to come to England, perhaps orally, to Ernest Ludlam, a
Quaker friend of Eddington, as recorded in Arthur S. Eddington to Einstein, 21 January 1920 (Vol. 9,
Doc. 271). In Einstein to Arthur S. Eddington, 2 February 1920 (Vol. 9, Doc. 293), Einstein restated
his intention to visit.
[3]The reason for Einstein’s proposed trip to England was almost certainly to receive the annual
Gold Medal of the Royal Astronomical Society. But in Arthur S. Eddington to Einstein, 21 January
1920 (Vol. 9, Doc. 271), Eddington relayed to him that the Society had failed to confirm him as the
recipient, and that no medal would be awarded that year. Einstein seemed relieved not to have to make
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