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förderlich gewesen ist und mich veranlasst hat, das Ganze meiner Darstellung
nochmals eingehend durchzusehen und in vielen Punkten zu revidieren.
Insbesondere habe ich jetzt den rein empirischen Ausgangspunkt der Relativi-
tätstheorie, der gegenüber der Untersuchung der theoretischen Voraussetzungen
wohl etwas zu kurz gekommen war, noch stärker
hervorgehoben.[2]
Ich gedenke
jetzt die Arbeit mit den Umgestaltungen und Ergänzungen, zu denen mich Ihre Be-
merkungen und Einwände veranlasst haben, zu veröffentlichen: nicht in der Mei-
nung, eine abgeschlossene Lösung der schwierigen erkenntnistheoretischen Fragen
bieten zu können, zu denen die Relativitätstheorie hinführt—sondern lediglich, um
das allgemeine philosophische Interesse mehr als es bisher geschehen, diesen Fra-
gen zuzuwenden. Ich selbst hoffe aus der Diskussion dieser Fragen zu lernen—be-
sonders auch von den Einwänden, die etwa von Seiten der Physiker gegen meine
Schlussfolgerungen erhoben werden sollten. Ich bin mit dem Ausdruck meines
Dankes und meiner Verehrung Ihr
Ernst Cassirer
ALS. [8 388].
[1]For Einstein’s remarks on the manuscript of Cassirer 1921, see Doc. 44.
[2]For example, when he discusses the role of Fizeau’s and Michelson’s experiments for the devel-
opment of relativity theory as “a fundamental contradiction within the physical experiences
themselves, from which it started” (“ein fundamentaler Widerspruch innerhalb der physikalischen
Erfahrungen selbst, von dem sie ihren Ausgang nahm”; Cassirer 1921, p. 28).
59. To Hedwig Born[1]
Kristiania, 18. VI. [1920]
Liebe Frau Born!
Die Nachricht von dem bitteren Erleben, das Sie durchmachen mussten, hat
mich sehr ergriffen. Ich weiss, was es heisst, die Mutter in Todesqual zu sehen,
ohne helfen zu
können.[2]
Trost gibt es nicht. Alle müssen wir so Schweres tragen,
denn es ist mit dem Leben ja untrennbar verbunden. Eins aber gibt es: freundschaft-
lich zusammenhalten und einander tragen helfen. Wir erleben doch auch so viel
Schönes aneinander, dass wir uns dumpfen Hinbrüten nicht ergeben brauchen. Die
Toten Alten leben ja in den Jungen weiter. Empfinden Sie es nicht, wenn Sie jetzt
in Ihrer Trauer Ihre Kinder ansehen?—
Ich bin hier mit Ilse und halte den Studenten ein paar
Vorträge,[3]
ein frisches,
sympathisches Völkchen. Dazu die wundervolle Natur und eine geradezu formida-
ble Hitze, die man da oben nicht erwarten sollte.
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