2 8 V O L U M E 8 , D O C U M E N T 4 5 a
Vol. 8, 45a. To Heinrich Zangger
[Berlin,] 11. 1. 15.
Lieber Freund Zangger!
Ihren Brief und Ihre Karte habe ich erhalten. Sie suchen als sozial gläubiger
Mensch die grauenhaften Leiden zu mildern, denen die Menschen jetzt zum Opfer
fallen, und finden Trost am
Wirken.[1]
Unsereiner aber wird durch die Fülle des Un-
verstandenen, Rätselhaften und unsagbar Hässlichen so abgestossen, dass er sich
noch mehr als sonst in das Schneckenhaus seiner Grübelei verkriecht. Die Arbeit
über allgemeine Relativität haben Sie wohl
erhalten;[2]
sie ist ein glücklicher Ab-
schluss meines Ringens auf diesem Gebiete. Nehmen Sie das Heftchen als Zeichen
freundschaftlicher Gesinnung hin, nicht als Zumutung, sich in solche Grüberleien
zu vertiefen! Gegenwärtig arbeite ich mit de Has (einem jungen Holländer, Lor-
entz’ Schwiegersohn) zusammen an einer sehr interessanten experimentellen Sa-
che über die Natur des
Magnetismus.[3]
Es soll darüber entschieden werden, ob der
Paramagnetismus wirklich auf kreisener Elektronen zurückzuführen ist; das Ziel
wird sich bestimmt erreichen lassen. Sobald die Untersuchung fertig ist, sende ich
Ihnen einen Abdruck. Hier stockt das wissenschaftliche Leben beinahe. Alle arbei-
ten und leiden für den Staat, teils freiwillig, teils
unfreiwillig.[4]
Wenn man nur ent-
was dazu thun könnte, dass die früheren relativ harmonischen Zustände wiederher-
gestellt werden! Aber die Leidenschaftlosigkeit ist in dem Zustand der Aufregung
beleidigend für die andern, die in der Angelegenheit tiefer drins stecken.
Neulich schrieb mir Edgar Meyer und bat mich, etwas dafür zu thun, dass er
nach Zürich an die Stelle Kleiners berufen
werde.[5]
Ich glaube aber, dass ich sei-
nen Aussichten eher schaden als nützen würde, wenn ich, ohne gefragt zu sein, für
ihm ein Wort einlegte. Ihnen sage ich aber dass Meyer ein hervorragender Physiker
ist, der der Universität wie kaum ein anderer nützen würde. Könnten Sie vielleicht
anregen, dass ich gefragt würde?
Es ist noch gut, dass sich unter den fei[n]en Köpfen auffallend viele Staatskrüp-
pel befinden, besonders unter den Theoretikern. Debye, Born Laue wurden als ab-
solut untauglich
befunden.[6]
Letzterer erzählte mir neulich, dass ihm das Erlernen
der Gewehrgriffe unüberwindliche Schwierigkeiten gemacht habe—eine hübsche
Illustration zu dem von meinen Kollegen heraus gegebenen Manifest, nach wel-
chem „wir unsere wissenschaftliche Leistungsfähigkeit nicht zum geringen Teile
der militärischen Erziehung
verdanken“.[7]
Ich lernte letzter Tage Kollegen Natan-
son aus Krakau kennen, ein feiner theoretische
Kopf.[8]
Er ist polnischer Jude und
in Russland aufgewachsen, jetzt ist 50 Jahre alt. Ich habe rasch zu ihm eine Zu[n]ei-
gung gefasst wie selten zu einem Menschen, sangue non è aqua! Lieber Zangger,
kümmern Sie sich darum, dass keine Schlappschwänze als Physiker nach Zürich
Previous Page Next Page