DOCUMENT 482 NOVEMBER 1913 565 482. To Elsa Löwenthal [Zurich,] Freitag. [7 November 1913][1] Liebe Elsa! Das kleine Rüffelchen, das Du mir wegen meiner Schweigsamkeit zukom- men liessest, war nicht ganz unberechtigt, aber Du würdest begreifen, wenn Du sähest, wie wenig seelenruhige Minuten ich hatte, um Dir mit Behagen schreiben zu können. Vorlesungen,[2] ewige Korrekturen, hartnäckiger Darm- katharrh & damit zusammenhängende Verstimmung. Ich schreibe lieber gar nicht, als irgendweich Galle in mein Geschreibsel tropfen zu lassen. Du musst dies nicht als Mangel an Zuneigung zu Dir deuten. Wenn wir in Berlin oft zusammen kommen, wirst Du sehen, dass wir ein paar gute Freunde fürs Leben sein werden, die einander das Dasein aufzuhellen vermögen. Das Schönste sollen unsere Spaziergänge im Grunewald[3] sein und bei schlech- tem Wetter unsere Zusammenkünfte auf Deinem Zimmerchen. Du willst also einen grossen Vortrag auswendig halten?[4] Ist das nicht Auto-Tierquälerei? Unsereiner ist glücklich, wenn er nicht auftreten muss, und Du thust es ohne Not. Aber Dein Mut imponiert mir doch. Dabei sein möchte ich aber keines- falls. Denn ich liebe das Wort aus Deinem Munde nur als Privatgeschenk und Erzeugnis des Augenblickes, je unüberlegter, desto lieber! Wenn Du mir das schönste Gedicht noch so göttlich vortrügest, die Freude die ich dabei hätte würde an diejenige nicht heranreichen, welche ich beim Empfang der von Dir gekochten Schwammerl und Gansgrieben empfand. Ich weiss, wie der Psy- chologe dies deuten würde, würde mich aber nicht schämen, und Du würdes die primitive Seite des Gemütes, die dabei herauskommt, gewiss nicht ver- achten, wenn auch etwas belächeln. Die extreme Vergeistigung der Gesin- nung hat etwas durch Ernst bedrückendes und bannt das fröhliche Lachen. Ich wurde weggerufen und wieder verging ein Tag, ohne dass ich den Brief fertig machen konnte. Heut kommt ein junger Holländer,[5] mit dem ich eine Arbeit besprechen muss, alle Moment kann er kommen. Die Angelegenheit meines ev. Institutes wurde hinausgeschoben, bis ich nach Berlin komme.[6] Es wäre doch gut, wenn ich eine Art Institut bekäme ich könnte dann mit andern zusammen arbeiten statt nur allein. Das entspricht sehr meiner Vorliebe. In Brüssel[7] war es sehr interessant. Ich hatte eine starke Debatte mit Nernst,[8] die aber merkwürdigerweise unseren guten Beziehungen nicht ge-
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