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Valuta. Ich sende Euch mit diesem Brief einen Artikel aus der Vossischen Zeitung
zur weiteren Nahrung für Mamas ohnehin schon gehörigen Mutterstolz; er muss
uns aber erst von Gumpertz zugehen, denn unsereiner liest keine so „vornehme“
Zeitung.[3]
In letzter Zeit habe ich ziemlich vorzutragen, Freitag eine Arbeit von
Sommerfeld in dessen Auftrag in der phys. Gesellschaft und morgen trifft michs in
der
Akademie.[4]
Auch prüfen musste ich schon zweimal, nämlich Lehramtskan-
didaten;[5]
die Mitprüfenden rühmten zum Teil nicht ohne leichte Ironie mein mit-
leidiges Herz. Hoffentlich thun Dir die herrlichen Tage gut, l. Mutter, dass Du auch
was hast von der schönen
Zeit.[6]
Jetzt kann man bald auf mein altes Lieblings-
plätzchen unterm Baum. Ich freue mich schon sehr, bis wir uns wiedersehen und
will so viel bei Euch sein, als es meine Vorlesungen irgend gestatten. Einstweilen
lese ich hier auf Mord und Press, dass mein Kolleg hier rechtzeitig zu Ende
bringe.[7]
Im August wollen wir dann zu zweit nach Berlin zurück fahren, l. Mama.
Bis dorthin wird es hier auch mit der Nahrung besser sein; übrigens mir geht es da-
mit mehr wie gut. Else bemüht sich, aus mir eine Art Onkel Rudolf zu machen, so
verwöhnt sie mich. Letzterem geht es übrigens nicht besonders; er nimmt sichtbar
ab. Das Alter und das Blasenleiden nagen an
ihm.[8]
Neulich plagte mich ein Bekannter, ich solle wieder einmal in einem Verein ei-
nen Vortrag über—das Relativitätsprinzip halten, nachdem ich nur ein Privatissi-
mum zugesagt
hatte.[9]
Auf erneutes Drängen schrieb ich ihm das
Verschen[10]
Ich bleib beim Privatissimum
Perhorreszier das Publikum
Bin sonst als wie der Orgelmann,
Der nichts als drehn und drehen kann,
Bis es der Spatz vom Dache pfeift
Und es der letzte Lump begreift.
Seid alle drei herzlich gegrüsst von Euerm
Albert.
ALS. [29 355].
[1]Dated by the references to the week of mourning and the lectures.
[2]The German government declared a “week of mourning” (“Trauerwoche”) from 10 to 16 May
1919, in protest against the harsh peace conditions laid out in the preliminary Treaty of Versailles of
7 May (see Doc. 36, note 9). For a description of the week of mourning, see Haas 1919 and “Das
Verbot der Lustbarkeiten,” Berliner Tageblatt, 9 May 1919, Evening Edition. As the Vossische Zei-
tung reported, “the measures for Berlin shall be particularly harsh, since the Berlin population has
shown over the past few weeks that it had not sufficiently grasped the seriousness of the current times.
Theaters are only permitted to show serious productions in the categories of arts and sciences. Cof-
feehouse concerts are banned. All honky-tonk must close, as must the gambling clubs, whose reopen-
ing will probably not be permitted even after the week has passed. The races will be postponed until
May 17. Cinemas will probably operate with the same restrictions as theaters. The legal closing hour
shall not be altered.” (“Die Maßnahmen sollen für Berlin besonders streng sein, da die Berliner Bevöl-
kerung während der letzten Wochen gezeigt hat, dass sie den Ernst der Zeit nicht erfasst hat. Die
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