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. . . Herrn Dr. Epstein wird es vielleicht interessieren zu hören, dass Prof. Ein-
stein sich für die Jerusalemer Universität interessiert; wenn er selbst nicht auf ein
Lehramt reflektieren kann, so nur deswegen (oder hauptsächlich deswegen), weil
er nicht glaubt, dass er das Hebräische noch genügend erlernen wird. Aber wie
steht es mit Dr. Epstein selber? Hätte er nicht Lust, sich einmal über die Sache mit
Prof. Einstein und evtl. durch ihn mit unseren Herren zu verständigen?
…“[1]
Sie sehen, Herr Professor, es handelt sich um einen Briefschreiber, der dem Un-
terrichtsfache fernsteht und mir, als einem alten Bekannten wohl will, daher seine
naive Annahme, dass ich eine Stelle, welche auf Sie zugeschnitten ist, ausfüllen
könnte. Ich glaube aber, dass in einem erst projektierten Institut sich die Lehrstellen
auf verschiedene Weisen einteilen lassen, und wenn eine normale Professur für
theoretische Physik in Aussicht genommen ist, so traue ich mir zu, meinen Aufga-
ben gerecht zu werden. Gerade die
Kriegsgefangenschaft[2]
und der heutige natio-
nale Chauvinismus haben mich über die Schattenseiten meines früheren Kosmoli-
tismus aufgeklärt und mir gezeigt, wie wertvoll es ist, unter seinesgleichen zu sein,
wo man nicht als Fremdling und Eindringling betrachtet wird. Dazu kommt noch,
dass durch die Bolschewisten meine finanzielle Lage unhaltbar geworden ist und
gebieterisch nach einer bezahlten Stellung
drängt.[3]
Aus allen diesen Gründen bin
ich geneigt, die in den angeführten Zeilen gegebene Anregung ernstlich ins Auge
zu fassen, und bitte, falls Sie dies nicht inkommodiert, bei Gelegenheit die für das
Unterrichtsfach massgebenden Zionisten auf mich aufmerksam zu machen, oder
auch mir mitzuteilen, an wen ich mich zu wenden habe.
Allerdings können ev. Verhandlungen meinerseits vorerst nur informative
Zwecke verfolgen, da ich mich natürlich nicht binden kann, bevor ich weiss, wie
die Universität organisiert ist über welche Hilfsmittel und Bibliotheken sie verfügt
u. s. w. Die Sprachenfrage würde auch mir Schwierigkeiten bereiten, aber, ich glau-
be, keine unüberwindlichen.
Gestern sind wir in Gesellschaft von Meyer, Bär, und Luchsinger von der Natur-
forscherversammlung in Lugano
zurückgekehrt.[4]
Wie Sie es mir vorausgesagt ha-
ben, standen die Freuden der Tafel, offiziellen Geschäftsverhandlungen und Reden
nach sonstigen geselligen Veranstaltungen dermassen im Vordergrund, dass die
Sektionssitzungen von manchen nur als lästige Unterbrechungen aufgefasst wur-
den. In unserer Sektion war nicht viel los: man kann ohne Übertreibung sagen, es
waren die Züricher unter
sich.[5]
Jedoch hat man viele interessante Leute von an-
deren Sektionen kennen gelernt, z. Teil Bekanntschaften, die man in Zürich weiter
pflegen kann. Das trägt natürlich stark dazu bei, einen Fremden, der sich noch nicht
eingelebt hat, in der Schweiz heimisch zu machen; und so komme ich zu dem
Schlusse, dass die Reise nach Lugano doch recht lohnend war.
Von Ehrenfest hatte ich gestern einen ausführlichen Brief: Er hat einen Ruf an
die neue Ukrainische Akademie der Wissenschaften in Kiew erhalten und ist im
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