D O C U M E N T 3 0 3 F E B R U A R Y 1 9 2 0 4 1 5
Es war vorgestern der Nationalökonom Prof. F. Oppenheimer aus Frankfurt hier
zu einem
Vortrag.[9]
Es war interessant aber doch: so ein deutscher Professor hebt
sich von dem Hintergrund der hier üblichen Bescheidenheit und Rücksichtsnahme
immer sehr unvortheilhaft ab. Voriges Jahr sprach hier
Troeltsch.[10]
Seine letzten
Worte waren: „Was die Zukunft bringen wird? Ich weiß es nicht: niemand weiß
es.“— Oppenheimer schloss: Vielleicht habe ich unrecht. Aber alle, auch Sie ver-
ehrte Damen und Herren—alle müssen wünschen, dass ich recht habe!“ Danach
war er in der Discussion mit einem Professor sehr höflich mit einem Studenten (er
sprach als Gast zweier Studentenvereinigungen!!!!) unglaublich unhöflich. Das
letztere wäre von einem holländischen Professor besonders wenn er Gast einer Stu-
dentengruppe ist, absolut unmöglich. Notabene hatte er gar keinen Anlass dazu.—
Ja, ja, ja!—


Ich schrieb Dir schon, dass ich mich sowohl für Dich als für Herglotz sehr freuen
würde wenn er nach Berlin
käme.[11]
Das ist ein Mathematiker der bei wahrhaft vir-
tuoser Beherrschung des mathematischen Handwerkzeuges und einem musikali-
schem Geschmack gegenüber der Mathematik auch alles (einigermaßen logisch ge-
ordnetes) Physik-Denken echt capiert also nicht den Schmetterling verdirbt indem
er ihn mit einem Rasiermesser fangen oder einer mathematischen Heudreschma-
schine totschlagen will.— Und rein menschlich gehört er zu den feinst nuancierten
Menschen die ich kenne. Leider wegen Überempflindichkeit gegen das norddeut-
sche Selbstbewusstsein angstvoll hinter einer Mimikry-Hülle von möglichster Tri-
vialität sich
verbergend.[12]
Der könnte Dir helfen wie sicher kein zweiter!—
Falls die Sache noch nicht entschieden ist, wäre es hübsch wenn Du ihm ein paar
Worte schriebst.— Seit Jahren ist es mein Wunsch Euch beide miteinander in Con-
tact zu bringen [und auch Joffe mit
Dir.[13]
Schließlich ist ja doch die Zahl der
Menschen, die einem die Erde zur Heimat machen nicht all zu groß.— Was ist z.
B. van Aardenne für ein eigenartiger
Vogel.[14]
Und wenn Du noch die wunderbare,
ganz unvergleiche Mutter seines Freundes de Ridder kennen lernen
wirst.[15]
Ich
wette Du wirst mir dann sagen: Du ich hätte nie gedacht, dass es sowas
giebt!][16]

Von der Jerusalem-Universität höre ich vorläufig keinen Ton mehr. Ich werde
Ornstein wieder
fragen.[17]
Ich habe jetzt einige Novellen von Zangwill (Tauchnitz-Edition) gelesen. Künst-
lerisch wertlose
Ghetto-Bilder.[18]
Wo ist Litteratur die bezüglich der Juden eini-
germaßen, sei es dann auch in verkleinertem Masstab dasjenige leistet was Dosto-
jewsky, oder wenigstens Tolstoi, oder wenigstens Tourgenjew, oder wenigstens
Gorki oder wenigstens Herzen bezüglich der Russen geleistet
hat.[19]
Ich will hoffen, dass es nur meine Ignoranz ist, dass ich diese Literatur nicht ken-
ne.— Sie muss doch bestehen oder es wäre ein Todesurtheil.
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