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Wenn dort überhaupt eine Möglichkeit für mich besteht, so bin ich überzeugt, dass
damit der denkbar grösste Schritt zu ihrer Realisierung getan
ist.[1]
Ich habe nichts
darüber gehört, ob Medicus geht oder
bleibt.[2]
In Deutschland ist meines Wissens
zur Zeit keine Lehrstelle frei, abgesehen, wenn ich nicht irre, von einem Extraordi-
nariat in Marburg, und dort, in der Hochburg des Neukantianismus, habe ich wohl
nicht die geringste
Aussicht.[3]
Die Zahl der philosophischen Ordinarien, die für
eine Philosophie wie die meine eintreten, ist ja nicht gross. Aber einige gibt es
doch; unter ihnen z. B. Erdmann, der sich bei jeder Gelegenheit für mich eingesetzt
hat.[4]
Nun habe ich noch etwas auf dem Herzen. Wie Sie wissen, ist der kleine Kon-
flikt, den Sie mit der Berliner Studentenschaft hatten, in den Zeitungen ganz schief
dargestellt worden, und dies soll auch ganz besonders in den Rostocker Zeitungen
der Fall gewesen sein (ich habe es dort freilich nicht selbst gelesen, da ich damals
gerade auf Volkshochschulreisen unterwegs
war).[5]
Wäre nicht eine kleine Berich-
tigung angebracht? Vielleicht möchte es wünschenswert sein, wenigstens der Aus-
bildung einer falschen Meinung bei den hiesigen Studenten entgegenzuwirken?
Dies letztere meint besonders Frau Katz, mit der ich hauptsächlich darüber gespro-
chen habe (Sie erinnern sich wohl noch der aus Odessa stammenden Dame, die Sie
eines Nachmittags bei uns kennen
lernten?).[6]
Nur für den Fall, dass Sie es für
nützlich halten, etwas in der angedeuteten Richtung zu tun, möchte ich Sie bitten,
mir in ein paar Zeilen einen Wink zu geben, was etwa in einer kurzen Zeitungsnotiz
zu sagen wäre. Oder möchten Sie vielleicht, dass ich der jüdischen Studentenver-
bindung, die wir damals besuchten, eine kleine Mitteilung zugehen lasse? Ich kom-
me mit der Sache wohl ein wenig post festum; aber die unaufhörlichen Landreisen
haben mich an vielen Dingen gehindert.
Gegen Ende des Monats soll ich einen Vortrag über die philosophische Bedeu-
tung Ihrer Theorie in Düsseldorf halten, vielleicht auch in einigen andern westdeut-
schen Städten. Gewiss verdanke ich diese ehrenvolle Einladung auch Ihrer Emp-
fehlung.— Eine sehr grosse Freude war mir die Arbeit von Bachem und Grebe über
die Linienverschiebung im Sonnenspectrum, besonders nachdem man in England
schon den negativen Ausgang entsprechender Untersuchungen verkündet
hatte.[7]
Herzlichsten Glückwunsch zu der neuen Bestätigung!
Das Eintreten Hänischs für die Lehrfreiheit im Falle Nicolai hat mich
gefreut.[8]
Mit den allerherzlichsten Wünschen für Ihr Wohlergehen, denen sich meine
Frau und die Kinder anschliessen, begrüsst Sie in dankbarer Ergebenheit Ihr
M. Schlick.
Eben kommt die Nachricht des Berliner
Umsturzes.[9]
Die Freude der Herren von
rechts wird nicht lange währen; aber das arme Deutschland ist sehr schlimm daran.
ALS. [21 572].
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